Wie gelingt das Überleben in der digitalisierten Welt? Hajo bittet den klügsten Wissenschaftsjournalisten der Nation um Rat: Ranga Yogeshwar rät zu wachsamer Neugier und zu skeptischem Optimismus.

 

 

So haust also ein Privatgelehrter: im Regal eine Kachel vom Space Shuttle, in der Ecke eine Löt-Station, auf dem Schreibtisch spanische Zeitungen, die sein Buch Nächste Ausfahrt Zukunft feiern, auf dem Bildschirm Programmiersprache; der Hausherr baut gerade neuronale Netze nach. Hier wird gedacht, getüftelt, geforscht, geschrieben, gespielt. Das edle Smartphone liegt mit dem Display nach unten.

Willkommen im Studierzimmer von Ranga Yogeshwar, 60, der angesehenste Wissensvermittler der Nation. Angenehm unaufgeregt erklärt der Physiker aus Hennef die Welt, Millionen Fernseh-Zuschauern ebenso wie Politikern oder Unternehmern, die oft Dinge beurteilen müssen, ohne viel davon zu verstehen. Ich zum Beispiel. Ranga Yogeshwar soll mir, dem digitalen Laien, einen Kompass für die Reise in die digitale Zukunft liefern.

Müssen wir Angst haben, die Kontrolle über unser Leben an die Technik zu verlieren? Yogeshwar korrigiert: „Nicht Angst, aber Respekt. Wir leben in historischen Zeiten, in denen weite Teile unseres Lebens völlig neu definiert werden müssen.“ Es sei derzeit wie in der Goldgräber-Ära: Einige wilde Gesellen machten märchenhafte Vermögen, weil die Regelwerke fehlten. So wie früher, als jeder im Wilden Westen nach Öl bohren oder Gold schürfen konnte. Der Umgang mit Grund und Boden, mit Technologie und Profiten musste gesetzlich geordnet werden.

So sei es heute mit den Daten, sagt Yogeshwar: „Uns fehlt jegliche Grammatik, die die digitale Welt ordnet. Wir wissen ja nicht einmal, wer was von uns weiß, wofür diese Informationen genutzt werden, wie viel Geld damit verdient wird, ob unserer Grundrechte respektiert werden.“ Er verstehe zwar, wie sein Smartphone funktioniere, könne aber nur vermuten, dass sein Gerät eine Hintertür besitze, über die Konzerne oder Institutionen mitlesen, mithören, mitsehen und speichern. Im ganzen Hause Yogeshwar gibt es keine „Alexa“ – „ganz bewusst“, sagt der Hausherr. Er weiß einfach zu wenig über diese Geräte, die immer mehr Privatleben protokollieren. Eine traditionell träge Politik versäume nun, derlei Grauzonen mit klaren Regeln zu beseitigen. „Wir brauchen gut informierte Bürger, die den Politikern Dampf machen.“

Und wenn ich mich der Digitalisierung einfach verweigere?

Digital Detox“ beruhige allenfalls die Nerven, sagt Yogeshwar. Versuchsweise ließ er sich mal ein Spähprogramm aufs Handy spielen, um zu erfahren, was sein digitaler Begleiter über ihn verrät. Ergebnis: praktisch alles, auch über andere, weil wir das Leben unserer Mitmenschen mitliefern, durch Kontakte, Gespräche, Orte, Fotos. „So wird jeder von uns zum Verräter wider Willen. Niemand bleibt unbeobachtet.“

Wie verhalte ich mich nun in der digitalen Goldgräberzeit? Euphorie? Panik? „Optimismus“, entgegnet Yogeshwar, aber mit gesunder Skepsis.“ Als Sohn eines indischen Ingenieurs und einer luxemburgischen Kunsthistorikerin hat er das Leben zwischen widersprüchlichen Welten gelernt, zwischen der mobilen Bücherei seines indischen Großvaters und dem Großrechenzentrum in Jülich. Der Wissenschaftler weiß, dass ein Sowohl-Als-Auch der Realität oft näher kommt als das urdeutsche Entweder-Oder.

Und die größte Gefahr? „Ständige Erregung“, sagt Yogeshwar, „alle digitalen Geschäftsmodelle basieren darauf, uns ständig an- und aufzuregen, damit wir dranbleiben, weiterklicken, konsumieren und Daten liefern.“ Wie aber der Dauererregung entkommen? Yogeshwar deutet stumm auf sein Smartphone, das seit zwei Stunden unberührt vor ihm liegt. „Vor hundert Jahren war das Beschaffen von Informationen unser größtes Problem. Heute ist es unsere Aufgabe, zu viele Informationen klug zu filtern.“

 

Das ganze Interview mit Ranga Yogeshwar finden Sie hier.

 

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