Hält eine Demokratie auf die Dauer privatwirtschaftliche Monopole aus, die unser Wissen und unsere Meinungen bestimmen? Eher nicht, findet unser Kolumnist und fordert Transparenz der Algorithmen.

 

Stellen Sie sich bitte diese drei Fragen:

  1. Überlegen Sie, wonach Sie jemals gegoogelt haben. Beschränken Sie sich auf die bizarren Anfragen, etwa nach Krankheiten, Abseitigem, Illegalem oder Ihrer eigenen Person. Sie haben nichts davon jemals gesucht? Glückwunsch. Falls doch: Sind Sie sicher, dass Ihre Anfragen nie gesammelt wurden?
  2. Überlegen Sie, was da für ein Persönlichkeitsprofil entsteht, wenn diese Suchabfragen zusammengesetzt würden. Ein nobler Sympathieträger? Ein herzlicher Familienmensch? Oder ein „wunderlich gekleideter Pornograf“, wie der kluge Entertainer Micky Beisenherz gesteht.
  3. Sie erhalten folgende WhatsApp: „Guten Tag! Wir haben all Ihre Suchen gesammelt. Dieses Paket schicken wir an Ihren Partner, Kinder, Freunde, Arbeitgeber und veröffentlichen es auf Ihrem Facebook-Profil. Wie viel ist Ihnen unser Schweigen wert?“ Was würden Sie tun?

Bonusfrage: Was, wenn Sie im Bundestag säßen und die WhatsApp noch zwei Sätze mehr beinhaltete: „Wollen Sie morgen tatsächlich für eine Digitalsteuer stimmen? Überlegen Sie sich´s noch mal.“ Klingt gespenstisch, ist aber real. Wir wissen nicht, was wer wie lange wo über uns gespeichert hat und in wessen Hände diese Daten gelangen könnten.

Wie souverän aber ist eine Regierung, wenn ein Privatunternehmen mehr weiß als der Staat? Und wie erpressbar? Die Politik hat sich Technologien unterworfen, deren Funktions- und Wirkungsweisen sie weder versteht noch kontrollieren kann. Wenn Gesundheitsminister Spahn nun mit Google vereinbart, dass vor allem regierungsamtliche Informationen angezeigt werden, rebelliert zu Recht die freie Presse gegen erste Tendenzen Richtung digitales Nordkorea. Die Kontrolle über demokratisch korrekte Digitalisierung gehört in die legitimierte Volksvertretung, das Parlament.

Was wäre etwa, wenn der Börsenkurs eines Silicon-Valley-Giganten wegen politischer Interventionen unter Druck geriete, einer neuen Steuer etwa? Was, wenn ein Digitalkonzern unter Druck alle Manipulationsmöglichkeiten nutzt? Würden wir kritische Berichte ganz oben in den Suchergebnissen finden? Kann man von einem Unternehmen überhaupt verlangen, sich mit eigenen Mitteln unter Druck zu setzen?

Die Nebel von Silicon sind dicht und verschleiern eine der wichtigsten Bedingungen für Demokratie: Transparenz. Wo immer die Scheinwerfer der Öffentlichkeit hingelangen, sinkt die Zahl der Schmutzecken rapide. Recherchen des Wall Street Journal haben ergeben, dass bei den Ergebnissen des Suchmaschinenmonopolisten Google sehr wohl gefummelt werden kann. Muss eine Suchmaschine nicht maximal objektiv sein?

Die Intransparenz gilt nicht nur für den Umgang mit persönlichen Daten, sondern inzwischen für die Realität selbst. Wie Plastikmüll in den Ozeanen treiben unzählige Fake-Partikel verschiedenster Größe durch das Internet. Zunächst ist es ja lustig, wenn Greta Thunberg mit der Stimme von Donald Trump spricht. Unruhig sucht das Auge den gestochen scharfen Film ab. Wo früher Ränder und Verläufe zu sehen waren, gibt es keinerlei Anzeichen von Manipulation mehr. Technik macht es möglich, Wladimir Putin Weltfrieden ausrufen zu lassen und Robert Habeck den Dritten Weltkrieg. Uli Hoeneß könnte sich als Veganer outen und Gregor Gysi als Gauland-Fan.

Bei diesen Deepfakes können nicht mal Experten für Bildbearbeitung sagen, ob es sich um Original oder Fälschung handelt. Wenn aber immer atemloser verschickt und geteilt wird – wann ist der „Peak Irrsinn“ erreicht, der Punkt kompletter Verwirrung? Und wer geht dagegen an? Die israelische Zeitung Haaretz schrieb: „Überlegen Sie nur, was Goebbels mit Facebook hätte tun können.“ Eine parlamentarische Kontrolle der Monstermaschinen ist alternativlos.

 

Seine digitalen Abenteuer beschreibt Netzentdecker Hajo Schumacher in seinem neuen Buch Kein Netz!: Geld, Zeit, Laune, Liebe – Wie wir unser wirkliches Leben zurückerobern (September 2020, Eichborn-Verlag).

Digitale und andere Themen in Corona-Zeiten behandelt Hajo Schumacher in seinem täglichen Mutmach-Podcast „Wir gegen Corona“.