Ein Like für Weltfrieden, ein Herz für George Floyd, ein Daumen gegen Rassismus. Wie digitaler Slacktivismus den politischen Protest verändert.

 

Neulich habe ich mich wieder gegen Rassismus engagiert. Ich habe einen Anti-Rassismus-Post weitergeleitet. Das mache ich öfter. Fühlt sich gut an. Mein Engagement gegen die Rassisten dieser Welt hat fünf Stufen. Erste Stufe: Ich sehe das Foto von einer Demonstration und empöre mich total. Stufe zwei: Ich like dieses Foto, weil es meinen Freunden auch gefallen könnte. Stufe drei: Ich leite das Foto weiter. Stufe vier: Ich kommentiere das weitergeleitete Foto, gern mit einem starken Argument wie „Geht gar nicht“. Stufe fünf: Ich lese und verstehe den Text auf den Transparenten und empöre mich erst recht.

Dieser bequeme digitale Protest heißt „Slacktivism“, zu Deutsch „Faulpelz-Aktivismus“. Mit ein paar Klicks hat man der Welt seine Gesinnung gezeigt. Leider beheben nicht Facebook-Daumen gesellschaftliche Missstände, sondern bisweilen lebensgefährliche Demonstrationen wie in Hongkong oder den USA. Politik ist kein Klick-Geschäft, sondern mühsames Verhandeln von Details. Würde Slacktivismus wirken, müsste Donald Trump längst auf dem Mars wohnen.

Womit wir bei der zentralen Kritik am Slacktivismus wären: Der rasch spendierte, risikolose Like dient weniger dem Protest, sondern als Signal der guten Gesinnung an die eigene Gefolgschaft. Das sichere Gefühl, einer Gruppe anzugehören, ist eine der größten Triebfedern für menschliches Handeln, stärker etwa als Studien oder Tatsachen, wie die Neurologin Maren Urner in ihrem Bestseller Schluss mit dem täglichen Weltuntergang schreibt. Aus Angst, vom eigenen Stamm verstoßen zu werden, behaupten etwa Mitläufer rechter Gruppierungen, sie zweifelten am Klimawandel, auch wenn sie fest von der Erderwärmung überzeugt sind. Lieber Überzeugungen preisgeben als einsam zu sein.

Slacktivismus ist also weniger Protest als vielmehr das Bestätigen von Zugehörigkeit. Problematisch wird es, wenn Nutzer das fixe Klicken mit politischem Engagement verwechseln. Flache digitale Empörungsstürme verleiten eine naturgemäß entschleunigte Politik eher zu hektischem Symbolhandeln, etwa den berüchtigten Zehn-Punkte-Plänen, die nie umgesetzt werden.

Als besonders tückisch entpuppt sich das schnell hingehudelte Gutgemeinte. Zu Beginn der C-Quarantäne etwa gefielen sich zwei Dutzend Schauspieler, die John Lennons „Imagine“ aus dem Homeoffice schmachteten – ein typischer Fall von Profi-Slacktivismus. Satzfetzen wie „… easy if you try …“ („… einfach, wenn du´s versuchst …“) oder „imagine no possessions“ („stell dir vor, es gäbe keinen Besitz …“) mögen in geräumigen Apartments mit zwei Kühlschränken ihren Zauber entfalten. Menschen aber, die an Covid-19 erkrankt sind, keine Kinderbetreuung finden oder während der Pandemie auf der Straße sitzen, dürfte mit derlei billigen Emo-Shows kaum geholfen sein. Derlei Auftritte dienen nichts anderem als dem Darstellen der eigenen guten Gesinnung. Waren beim Balkonklatschen neulich, live gefilmt und gepostet, vielleicht ähnliche Motive im Spiel?

Doch halt, Slacktivismus ist nicht nur das gefühlige Selbstbefriedigen haltungsarmer Instagram-Junkies. Themen, die sonst im Verborgenen blieben, werden ans Licht gezerrt. Und Slacktivismus kann dazu führen, dass Menschen tatsächlich ihren Hintern bewegen, gleichsam als erster Schritt in konkretes politisches Handeln. So wie derzeit in den USA. Auf die Frage, wie er denn für die Demonstrationen gegen Rassismus mobilisiere, antwortete der schwarze Poet Jonathan Teklit, der zu den vielversprechendsten Nachwuchskünstlern der Generation TikTok gehört: „Ich habe das typische 20-Jährigen-Ding gemacht: ‚Hier könnt ihr spenden, und hier sind Informationen` – alles  von meinem Zimmer aus.” Junge Slacktivisten mögen schnell überfordert sein, sagt Teklit, aber sobald es um Menschenrechte gehe, seien sie „in null Komma nichts auf der Straße.”

 

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