Twitter macht Ernst und lässt dem US-Präsidenten Hetze und Aggression nicht länger durchgehen. Facebook dagegen hält tapfer zu Trump.

 

Jack Dorsey ist einer der spannendsten Milliardäre, die das Internet geschaffen hat. Er programmierte als Jugendlicher Leitsysteme für Krankenwagen und Polizeiautos. Er wollte botanischer Zeichner werden und Modedesigner, dann erfand er Twitter. Seit den aktuellen Unruhen in den USA stellt Dorsey sich noch klarer gegen Hetzer und Rassisten. Dass sein Dienst kaum Gewinne abwirft, ist Dorsey gleich. Mit seinem Bezahldienst Square hat er ausgesorgt.

Dorsey hat nicht so viele Milliarden wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg, aber dafür mehr Haltung. Nun hat er einen kleinen Stöpsel aus jenem aufgeblasenen Luftwurst-Clown gezogen, der medial herumhampelt und verleumderische Giftwolken ablässt. Mal sehen, wie viel Schub Dorseys Entscheidung entwickelt, den Tweets seines prominentesten Kunden ab sofort Warnhinweise mitzugeben.

Via Twitter hat der US-Präsident über Jahre im Stundentakt Themen gesetzt, verscheucht, verdreht, ganz egal, wie die Faktenlage war. Musste ein Politiker sich früher unliebsamen Fragen oder Kommentaren von Journalisten aussetzen, ermöglichen digitale Kanäle den direkten Kontakt zum Wähler. Das ist ein Fortschritt, solange die Absicht stimmt: Wird die Freiheit der Kommunikation genutzt, um die freie Gesellschaft zu stärken?

Leider bewirken Social-Media-Kanäle das Gegenteil: Twitter (Trump), YouTube (Bolsonaro) und Facebook (Johnson) haben eine Kreislaufwirtschaft des Bösen in Gang gesetzt: Hysterischer Irrsinn klickt gut, er macht die Irren immer populärer, die Internet-Milliardäre immer reicher und Demokratien immer brüchiger. Die Freiheit der Demokratie wird gerade von Rechtsextremisten mit Lügen und Hetze genutzt, um die Freiheit abzuschaffen, ein Phänomen, dass der Soziologe Karl Popper als „Toleranz-Paradox“ bezeichnete.

Dorsey liefert nun jenen journalistischen Service, den jede Demokratie braucht: Er ordnet ein, stellt klar, liefert Warnhinweise zu Irrsinns-Tweets, auch auf die Gefahr hin, dass der Gelbhaarige aus dem Weißen Haus Rachegesetze verabschiedet. Reiche Freunde von Trump sollen bereits genügend Twitter-Aktien erworben haben, um CEO Dorsey über den Aufsichtsrat loszuwerden.

Twitter hat eine Debatte in Gang gebracht, die jedes Parlament des Planeten angeht. Kernfrage: Sind Lügen und Hetze vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt? Müssen Demokratien also bei ihrer eigenen Zerstörung zuschauen?

Das Ideal von der totalen Meinungsfreiheit haben die Internet-Giganten längst aufgegeben. YouTube beschäftigt Zehntausende Menschen, die den widerlichsten Dreck herausfischen sollen. Aussichtslos: Der Müll wird immer mehr und perfider, die Löschkräfte müssen mit posttraumatischen Belastungsstörungen in Behandlung. Es ist einfach zu viel des Ekligen, was zu sehen ist. Facebook hat seit Corona das Bemühen um Reinheit zart forciert. Aber weil es etwa zehnmal so lange dauert, Unsinn aus der Welt zu schaffen als in die Welt zu setzen, ist der Kampf gegen das Böse nicht zu gewinnen.

Twitter gesteht nun ein, dass Social-Media-Plattformen nicht neutrale Auslieferer von Information sein können, sondern Verantwortung für den Inhalt tragen, wie jede Schülerzeitung auch. Problem: Redaktionelle Sauberkeit kostet Personal, kostet Gewinn, kostet Börsenwert, was der Facebook-Chef unbedingt verhindern will. Nach einem Telefonat mit Trump versuchte Mark Zuckerberg seiner zunehmend maulenden Mannschaft zu erklären, warum Facebook Trumps gewaltverherrlichende Kommentare anstandslos transportiert. Zwischen Trump und Zuckerberg scheint ein stillschweigender Pakt zu herrschen. Facebook ließ sich manipulieren, um Trump 2016 ins Weiße Haus zu helfen. Trotzdem oder deswegen will Zuckerberg bei der Wahl in diesem November nicht auf politische Werbung verzichten.

Dorseys Schritt ist damit auch eine Wette auf die Präsidentschaftswahl: Gewinnt Trump, steht paradoxerweise das Lieblingsmedium des Präsidenten vor harten Zeiten.

 

Seine digitalen Abenteuer beschreibt Netzentdecker Hajo Schumacher in seinem neuen Buch Kein Netz!: Geld, Zeit, Laune, Liebe – Wie wir unser wirkliches Leben zurückerobern, das im Sommer im Eichborn-Verlag erscheint.

Digitale und andere Themen in Corona-Zeiten behandelt Hajo Schumacher in seinem täglichen Mutmach-Podcast Wir gegen Corona.