In Viren-Zeiten saugen wir jede Nachricht auf. Weil wir informiert sein wollen? Oder weil News für Erwachsene sind, was Computerspiele für unsere Kinder?

 

Ich bin verwirrt. Wie weit ist der Corona-Impfstoff gediehen? Heute morgen las ich, dass in China erste Tests vielversprechend angelaufen seien. Gestern hieß es, in Brasilien seien Menschen schon gepiekt worden. Mittags die Kunde, die Briten seien kurz vorm Durchbruch. Warum nur mahnt zugleich einer der unzähligen Virologen, dass mindestens noch zwei Bundesliga-Spielzeiten ausfallen werden, bis der Impfstoff fertig ist?

Google meldet etwa zwölf Millionen Beiträge für „Impfstoff Corona“. Da habe ich noch was vor mir. Vor allem Zweifel: Obgleich ich den Ehrgeiz habe, jede Impf-News zu inhalieren, um gut informiert zu sein, wächst mein Gefühl, den Überblick zu verlieren. Es ist wie am All-You-Can-Eat-Büffet: Teller zu vollgeladen, das eigene Fassungsvermögen leicht überschätzt.

Es könnte daran liegen, dass in einem globalen Wettrennen zwischen narzisstischen Staatenlenkern, nicht immer uneitlen Wissenschaftlern und strikt auf Nächstenliebe ausgerichteten Pharma-Konzernen jede Petitesse mit einem Breaking-Newsfeed gefeiert wird. Nachrichten sind wie Lachsschnitten: Was mal besonders war, ist heute industriell produziert – kann man gut vom Teller lassen.

Als die Welt noch übersichtlich war, gab es drei Quellen, aus denen der Bildungsbürger seine Informationen sog: morgens Zeitung, tagsüber Radio mit bürgernahen Formaten wie „Hallo Ü-Wagen“ und der wunderbaren Carmen Thomas, abends „Tagesschau“. Und interessanterweise geschah in der Welt jeden Tag exakt so viel, wie in diese drei Kanäle passte.

Das Wunder der Digitalisierung hat uns nun virales Wachstum beschert: Nachrichten vermehren sich wie Covid-19 in Ischgl. Unzählige neue Kanäle brauchen unentwegt neuen Sendestoff, ohne, dass mehr auf der Welt passiert wäre. Wir sprechen, wohlgemerkt, nicht von Fake News, also Falschem, sondern von Fast News: halbwegs Zutreffendem, aber nicht unbedingt Relevantem. Klapprig wie manche dieser Meldungen sind, müssen sie lackiert, mit Hupe und Lametta aufgemotzt werden. Für News gilt das Prinzip Bonanza-Rad: Ein normales Gefährt wird mit blinkenden Accessoires in eine Sensation verwandelt. Manche Labor-Pressestelle mag allein die Tatsache, dass ein Covid-19-Geselle endlich unterm Mikroskop entdeckt wurde, zum Fast-Durchbruch beim Impfstoff hochsingen. Unter uns: nicht unüblich im medialen Betrieb.

Stellt sich die Frage: Was ist aus der Bürgerpflicht des Informiertseins geworden? Muss ich diese Menge von teils widersprüchlichen Schnipseln, deren Bedeutung nicht mal die verarbeitenden Medienmenschen beurteilen können, wirklich aufnehmen? Ist es eine Nachricht, wenn vier Wörter, etwa „Corona“ – „Impfung“ – „Experten “ – „soll“, aneinandergereiht werden? Oder haben wir es mit Schein-Wichtigkeit zu tun, die auf Erwachsene ähnlich magisch wirkt wie Computerspiele bei Kindern, nämlich primär emotional? Da blinkt was, wir empfinden kurz Wut, Spaß, Angst, Erlösung und gieren nach der nächsten Emo-Dosis.

Ausgerechnet im Maschinenraum der globalen Müllschleudern hat sich schon 2013 die Initiative „Time Well Spent“ (gut verbrachte Zeit) gegründet. Die Idee: wenig gute Happen angeln, statt unentwegt Schnipsel zu snacken. Effektivitätsprediger Tim Ferriss oder Klardenker Rolf Dobelli raten zu News-Diät, um Zeit zu sparen und Verwirrung zu reduzieren. Es geht nicht darum zu verblöden, sondern das eigene Ertrinken zu verhindern.

Ich würde jetzt gern noch weiterschreiben, aber ich muss jetzt diese Breaking-Push-Nachricht lesen, dass Nordkorea jetzt einen Impfstoff im Sommer … Welcher Sommer? Egal. Jetzt keine sachlichen Fragen bitte.

 

In seinem täglichen Mutmach-Podcast „Wir gegen Corona“ kämpft sich Hajo Schumacher mit seiner Frau Suse, Psychologin und Krisenexpertin, durch die tägliche Nachrichtenflut.