Aufruf zur Revolution. Wenn die Politik zu träge ist, um unsere Daten zurückzuerobern, müssen die Bürger selbst aktiv werden. Teil 2 des großen Sommergesprächs mit Ranga Yogeshwar.

 

 

Neulich wollte ich Ranga Yogeshwar eine Mail schreiben; es ging um eine Nachfrage zu unserem Interview für www.netzentdecker.de. „Danke für Ihre Mail!“, schnarrte das Antwortprogramm. “Momentan befinde ich mich in meiner OFF-Zeit. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich keine Mails lese, weder zeitnah noch später. Alle einlaufenden Mails werden gelöscht!“ Bitte was? Löschen ohne lesen? Ausgerechnet Ranga Yogeshwar, Wissenssammler und Wissensvermittler? Und wenn nun ein wirklich wichtiger Mensch was will, ein millionenschwerer Werbeauftrag winkt oder einfach nur Angst vor digitaler Einsamkeit droht? Egal: „Vielleicht erscheint Ihnen diese Handlungsweise radikal, doch in Zeiten der Dauererreichbarkeit sind mir Phasen der Fokussierung und des Abstands wichtig.“

Yogeshwar hat seine Prioritäten gesetzt. Kann sein, dass was verloren geht. Aber dagegen steht ein Gewinn: Autonomie. Das Leben dirigieren anstatt dirigiert zu werden. Nahezu alle digitalen Dienste wollen uns Nutzer so lange wie möglich online halten, sie locken und verführen uns. Denn jeder Klick bedeutet eine Information, unsere Vorlieben, unser Konsumverhalten, unsere Treffen, unsere Wege. Und jede dieser Informationen ist bares Geld, weil wir als Konsumenten noch ausrechenbarer sind. Wer sich ausklinkt, erweitert sein Leben über das Dasein des Konsumenten hinaus.

Yogeshwar, Deutschlands klügster Wissenschaftsjournalist, sieht die Bürger derzeit in einem aussichtslosen Kampf gegen das Netz verstrickt. Welche Partei erfasst die wirtschaftliche, politische Macht der Digitalmonopolisten? „Keine“, sagt Yogeshwar. Und welcher Politiker beherrscht das Thema? „Gerhart Baum.“ Für die Jüngeren: Als die FDP einst Freiheiten verteidigte, die über Konsumfragen hinausgingen, war Baum Bundesinnenminister. Heute ist er 86 und immer noch konkurrenzlos als Verteidiger von Bürgerrechten.

„Wir haben eine Politik, die ignorant ist“, sagt Yogeshwar, weniger aus bösem Willen als aus Ahnungslosigkeit: „Viele verstehen die Reichweite der Digitalisierung einfach nicht.“ Es ist die toxische Mischung aus Psychologie, Technologie und knallhartem Raubtierkapitalismus, die unser aller Miteinander verändert. Ob bei Facebook, Google oder Instagram – überall sorgen Algorithmen dafür, dass den Nutzern immer neue Aufreger zugespielt werden, ob falsch, wahr oder irgendwas dazwischen. Egal. Ob Elfjährige sich eine Schönheitsoperation wünschen, Bürger sich überfremdet fühlen oder Beziehungen scheitern, weil Partnerbörsen ständig bessere Kandidaten verheißen – digitale Dienste verdienen ihre Milliarden nicht mit dem Verteilen von Wissen, sondern dem Verstärken von Emotionen. „Erregungsbewirtschaftung“ nennt Yogeshwar das Geschäftsmodell und verweist auf eine absurde Debatte aus Japan, wo Falschinformationen jedes Jahr etwa 3.000 Japanerinnen töten. Die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs ist die einzige Krebsimpfung, die nachweislich wirkt. Nach einigen Fake-Berichten, medial hochgeschraubt, fiel die Impfquote in Japan von siebzig Prozent auf unter ein Prozent.

Und, was tun? Zum Beispiel besseren Journalismus machen, sagt der Journalist Yogeshwar. “Wenn ich mir Talkshows angucke, die geradezu deprimierend über Themen reden, die nicht relevant sind und auf Erregung und Konflikt setzen, muss ich mich melden und sagen: ‚Macht endlich euren Job!`“ Und wer soll das sagen? „Bürger, Organisationen, Medien, alle, die merken, dass wir dringend eine Offenlegung unserer Daten brauchen“, sagt Yogeshwar, „und das wird die Politik nur durchsetzen, wenn der Druck von uns allen groß genug ist.“

Nach dem 1. September ist Ranga Yogeshwar übrigens wieder per E-Mail zu erreichen. Und ihm wird nichts gefehlt haben.

 

Das ganze Interview finden Sie hier.