Hajo ist ein Datenmessi, aber mit System. Um Cyberkriminelle zu täuschen, versteckt er seine Daten so gut, dass er sie selbst kaum wiederfindet.

 

Ich gestehe: Ich bin ein Datenmessi. Ich verabscheue die Idee vom papierlosen Büro. Nur Briefbögen sind wahr, gelocht und abgeheftet. Ordner, liebe Kinder, das sind diese sehr deutschen schwarzmarmorierten Pappdeckel mit jener wunderbaren Mechanik darin, die die gelochten Papiere festhält. Nehmen wir nur den jährlichen Rentenbescheid, ein Dokument, das parallel zur Lebenszeit immer interessanter wird. Ich habe all meine Bescheide gesammelt, auf Papier. Eines Tages werde ich mit diesem Ordner unterm Arm zum Sozialministerium fahren und einfordern, was mir einst an Rente versprochen wurde. Minister Kühnert wird herumdrucksen, dass wir Babyboomer leider zu viele seien. Weil ich aber all die Bescheide so schön gesammelt habe, wird der Minister andeuten, dass sich da sicher was machen ließe. Trüge ich dieselben Rentenbescheide auf meinem Smartphone mit mir, würde mich schon die Sicherheitskraft am Ministeriumstor abwimmeln. Wer glaubt denn einem Bildschirm? Eintrittskarten oder Tickets kann man speichern, aber keine echten Dokumente. Die gehören gelocht und geheftet. Ordner sind Macht. Mit einem Griff. Zack. Meine Meinung.

Ich leide nun mal an Datenverlustphobie. Was, wenn sich ein elektronisches Schriftstück selbst zerstört? Oder der Rechner, auf dem es gespeichert ist, in die Badewanne fällt? Oder die Festplatte, auf der die Sicherheitskopie aufbewahrt ist, vom chinesischen Geheimdienst fernzerstört wird? Oder die Cloud – Maja, Gaia, Schnaja – ihr Passwort wechselt? Oder, noch schlimmer, ich durch eine dämliche Tastenkombination, die meist meinen dicken Fingern geschuldet ist, unabsichtlich eine Generallöschung auf allen Datenträgern verursache. Ist mir neulich erst wieder mit einem Text passiert. Also gilt das Prinzip der maximalen Streuung: Je häufiger ich ein Dokument irgendwo abspeichere, desto wahrscheinlicher finde ich es später wieder, falls ich nicht den Namen der Datei vergessen habe. Um die NSA und potenzielle Einbrecher zu verwirren, lasse ich mir nämlich alle paar Monate neue Passwörter und Ordnernamen einfallen. Die Strategie klappt, jedenfalls bei mir selbst. Mein Rechner ist voll mit Dokumenten, ich weiß nur nicht, wo mit welchen. Also sicherheitshalber auch ausdrucken und abheften, falls der Russe doch noch kommt.

Auf den echten Ordner schreibe ich wahrheitsgemäß „Rente“. Den digitalen Ordner würde ich eher „Herbst“ nennen oder „Arthrose“ oder „Herbstarthrose“. Als ich neulich einen Schrieb der Kfz-Versicherung suchte – es lebe die Suchwortfunktion, meine Lebensretterin –, da bekam ich acht Varianten in fünf digitalen Ordnern angeboten. Alle zwei Jahre brauche ich übrigens einen neuen Rechner, mit doppelter Speicherkapazität. Der alte ist vollgemüllt.

Aufräumen und ausmisten, empfiehlt ungefragt mein Haushaltsvorstand. Aber Löschen geht nicht, entgegne ich, irgendwann wird das noch mal wichtig. Sobald System drin ist, werde ich zudem Cybergangstern zum Opfer fallen. Mir geht es wie der Rohrdommel. Das Dickicht ist mein bester Schutz. Fotos und Musikdateien habe ich ebenfalls mehrfach aufbewahrt, in der Cloud, auf der Festplatte, bei der Datensicherung, auf dem Rechner und einiges auf dem Smartphone. Kostet ja nichts. Vier Prozent der Menschheit sollen übrigens am noch nicht ausgeforschten Krankheitsbild des Datenhortens leiden.

An der Universität Bamberg ist für diese Datenmessis eine Software ersonnen worden, die beim Entmüllen helfen soll und „WagezuLöschen“, heißt. Schon bizarr: Da wird eine Technik erfunden für Probleme, die es ohne die Technik gar nicht gäbe. Und wie funktioniert „WagezuLöschen“? Ganz einfach: Beim Schließen des Rechners werden fünf Dateien vorgeschlagen, die alt sind, mehrfach vorhanden oder beides. Gute Idee, die aber leider daran scheitern wird, dass ich den Rechner nie schließe.  Könnten ja Daten verloren gehen.