Ein Lockern der Ausgangsbeschränkungen ist derzeit nur mit digitaler Hilfe denkbar. Wer eine Smartphone-Überwachung akzeptiert, könnte mit Freigang belohnt werden. Warum nur werden die Daten der Tech-Giganten nicht genutzt?

 

Vor wenigen Wochen, als die Welt noch lief wie gewohnt, habe ich an dieser Stelle auf ein Experiment hingewiesen, das auf YouTube zu sehen ist. Peter Lord, Manager beim Software-Hersteller Oracle, hatte während seines Vortrags auf einer Digitalkonferenz ein Smartphone auf der Bühne liegen. Das Gerät mit Googles Betriebssystem Android trug keine Sim-Karte im Bauch, hatte keinen Browser geöffnet und hing nur im WLAN. Lord führte vor, wie das Smartphone gleichwohl im Sekundentakt Daten an den Mutterkonzern lieferte über Ort, Zeit, Bewegung, Temperatur und Luftdruck sowie über Smartphones und Hotspots in der Nähe. Mehr als zweieinhalb Milliarden Smartphones laufen mit Android. Und für alle gilt der Deal: kostenloses Betriebssystem gegen unentwegtes Datenliefern. Damals stellte ich die Frage, was Google möglicherweise über Attentate und Täter weiß.

Die Frage heute lautet: Was wusste Google beispielsweise über die Besucher des „Kitzlochs“, jenes ballermannesken Lokals in Ischgl, aus dessen speichelhaltiger Luft Ski-Touristen aus ganz Europa das Corona-Virus mit nach Hause nahmen. Mal angenommen, alle Kitzloch-Gäste mit Android-Handy seien möglichst früh gewarnt und isoliert worden – wäre die Ausbreitung von Covid-19 gebremst worden? Womöglich ja, wenn man Erfahrungen aus Singapur, Taiwan oder Südkorea zugrunde legt. Daten können Leben retten, wenn sie nicht als Betriebsgeheimnis geheim gehalten werden.

Das Rückverfolgen von potenziellen Infizierten und deren strikte Quarantäne gilt als Bedingung, um derzeit ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen. Wird die Pausentaste, die Deutschland gerade stillstehen lässt, Ende April tatsächlich gelockert, dann wohl nur, wenn eine App dabei hilft, Infizierte so schnell wie möglich zu isolieren. Mit den groben Funkzellendaten der Telekom wird diese Kontrolle kaum gelingen. Apple und Google dagegen horten über ihre Betriebssysteme Android und iOS einen Datenschatz aus GPS, Bluetooth, WLAN, Funkzellen. Preisfrage: Darf sich ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das es mit dem Datenschutz sonst nicht sehr genau nimmt, ausgerechnet in Krisenzeiten hinterm Datenschutz verstecken und seine Informationen für sich behalten? Oder besteht derzeit ein übergeordnetes gesellschaftliches Interesse, alle verfügbaren Daten der Öffentlichkeit bereitzustellen? 70 US-Wissenschaftler haben in einem offenen Brief bereits auf Herausgabe dieses Geheimwissens gedrängt, zumal Google Maps viel über Standorte und Bewegungen weiß und Netzwerke wie Facebook über individualisierte Werbung ebenfalls einen Sack von privaten Informationen horten.

Da merkwürdigerweise kaum diskutiert wird, Google und andere Datensammler gesetzlich zur Herausgabe aller, ja: aller Daten zu motivieren und die Tech-Giganten kaum auf die Idee kommen werden, freiwillig zu helfen, wird Gesundheitsminister Spahn sich eine ebenso grundgesetzkompatible wie alltagspraktikable Lösung überlegen müssen, die auf den asiatischen Erfahrungen basiert.

Als vielversprechend gilt die in Singapur entwickelte App „TraceTogether“, die für drei Wochen alle Kontakte speichert. Infizierte müssen diese Daten abliefern, damit die Behörden alle möglichen Kontaktpersonen identifizieren können. Deutsche Datenschützer haben bereits eine grundgesetzkompatible Version entwickelt.

Ein Lockern der Einschränkungen bei weiterhin bestehender Corona-Gefahr ist derzeit wohl nur denkbar, wenn die Bürger einem Deal zustimmen. Eine gesetzliche angeordnete Pflicht ist nicht durchzusetzen. Wer also freiwillig eine Verfolgungs-App installiert, wird sich damit paradoxerweise ein Stück Bewegungsfreiheit erkaufen. Wer seine Daten nicht rausrücken mag, muss weiterhin zu Hause bleiben. Das kann man Erpressung nennen oder aber ein Angebot. Das aber nur zu akzeptieren ist, wenn das Datensammeln zeitlich streng befristet ist.