Zocken ist für Doofe, dachte Hajo, wenn er seine Söhne vor dem Bildschirm spielen sah. So einfach ist es nicht, lernte er in einer Nachhilfestunde. Und Fernsehen macht auch nicht immer klüger.

 

Ich werde meine beiden Söhne um Entschuldigung bitten. Ich habe ihnen Unrecht getan, wann immer ich mit besorgter Bildungsbürgermiene in der Tür stand, auf ihre Rücken blickte und Sätze sagte wie: „Draußen ist so schönes Wetter…“ oder: „Lies´ doch mal wieder ein Buch…“. Ohne aufzuschauen machten sie dann Geräusche, die besänftigend bis ungehalten klangen. Das Gewusel auf dem Bildschirm war attraktiver als der eigene Vater. Ich war eifersüchtig. Was haben Computerspiele, was ich nicht habe? Ich ging zurück vor den Fernseher. Seither will ich glauben, dass das Gezocke dumm und einsam macht. Familienrituale halt.

Keine Frage: Computerspielsucht ist ein Problem. Aber über 30 Millionen Deutsche, die regelmäßig spielen, sind nicht durchweg suchtkrank. Wir haben es wohl mit einem Generationenphänomen zu tun. Analoge wie ich sind mit Malefiz, Risiko und Doppelkopf aufgewachsen, mit Schocken oder Skat. Man spielte, redete, durchaus auch Unsinn („Karte oder Stück Holz“) und genoss das Gefühl des unterkomplexen Beisammenseins. Wer mit der „Großen Spielesammlung“ im Kunstlederkoffer aufgewachsen ist, fremdelt heute halt mit dem scheinbar einsamen Starren in einen Bildschirm. Unsere Kinder wiederum verdrehen die Augen, ertragen still die elterlichen Mahnungen und finden immer neue Wege, um in Ruhe ein paar Runden zu zocken.

Neulich traf ich Simon. Er war mir von einer Vertrauten empfohlen worden, als Prototyp des sozialverträglichen Computerspielers. Simon ist meist im Let´s-Play-Modus unterwegs; er spielt öffentlich. Jeder Mensch auf der ganzen Welt kann ihm bei Rocket League zuschauen, einem nicht gerade für Anspruch bekanntes Spiel. Mit einem knubbeligen Auto versucht man, einen großen Ball ins Tor des Gegners zu befördern. Klingt banal. Ist es auch. Und deswegen bestens geeignet, um sich nebenbei im Chat zu unterhalten, über alles. Simon begrüßt jeden neuen Zuschauer, man flachst, lacht, blödelt. Die meisten kennt Simon seit vielen Jahren, aber nur wenige persönlich. Er stellt mich vor als älteren Herrn, der nur mal zugucken will.

Simon ist 22, wohnt in Castrop bei seinen Eltern, hat Abitur und ist für Soziologie eingeschrieben ohne besonders euphorisch zu studieren. Er jobbt bei einer Event-Agentur. Über seinen Bildschirmen hängt ein Bücherregal, ganz rechts steht „Tintenherz“ von Cornelia Funke, dazwischen einige Potters, ganz links „das Kapital“ von Karl Marx. Das Werk hat Simon bei einem Billiganbieter erworben, um sein politisches Wissen zu erweitern. Doch schon die ersten Seiten erwiesen sich als sperrig. Nun steht das Buch repräsentativ, aber ungelesen rum. Wie bei den meisten Linken wahrscheinlich auch.

Zocken ist nun mal lustiger. Allein mit Rocket League hat Simon etwa 1500 Stunden zugebracht, was 40 Arbeitswochen entspricht, also einem Jahr im öffentlichen Dienst. Bereut er die viele Zeit? „Nö“, sagt er, „hat ja Spaß gemacht.“ Ist der Junge bescheuert? Sicher. Aber wir Älteren ja auch.  Jetzt mal ehrlich: Wie viele Stunden haben wir vor „Traumschiff“ oder „Wetten, dass…“ oder superlangweiligen Fußballspielen zugebracht? Wollen wir den Kindern wirklich die Sinn- und Bildungsfrage stellen?

Simon drückt mir den Controller in die Hand, jenes schwarze Gerät, dass aussieht wie ein Flugzeugsteuer.  „Drücken!“, ruft Simon, „jetzt drücken!“, Ich drücke wie verrückt, aber leider die falschen Knöpfe. Das 0:7 kann man beim besten Willen nicht schönreden. Etwa ein Dutzend junger Menschen beömmelt sich im Chat und schickt kleine charmante Garstigkeiten. Ich beginne mich wohlzufühlen in dieser Gesellschaft und frage mich, ob Menschen meine Freunde sein können, die ich gar nicht kenne.

 

In der nächsten Folge: Ich zocke live und meine Fans toben vor Begeisterung.