Mit modernsten digitalen Methoden haben wir ermittelt, was die Leser wirklich wollen – das haben Sie jetzt davon.
Petra sagt, sie sei nicht so eine „Digi-Maus“. Jörg hat beruflich mit Daten zu tun und kennt sich ziemlich gut aus. Lutz ist Experte für digital gesteuerte Energieversorgung im Eigenheim. Renate weiß, dass man mehr wissen sollte über dieses Internet, findet aber alles sehr kompliziert. Willkommen im Kundencenter der Netzentdecker: vier Menschen, fünf Bedürfnisse und ein verwirrter Meinungsforscher, nämlich ich.
Vor einigen Wochen hatten wir begonnen, mit einem digitalen Kreativitätsprozess unser Angebot noch besser zu machen, mit modernsten Techniken aus dem Design Thinking, alles per Video-Workshop zwischen Berlin, dem Data Hub Ruhr aus Essen, einem Programm der Gründerallianz Ruhr, der schon Evonik oder der Entsorgung Herne zu Fortschritt verholfen hat. Ergebnis der ersten Runde: Lerne deine Leser besser kennen. Denn auch in digitalen Zeiten geht es um Menschen, mit sehr eigenen Köpfen. Also haben meine Mitstreiter Jascha, Anika und ich zahllose Interviews geführt mit Netzentdecker-Nutzern, die sich allesamt als angenehme Zeitgenossen erwiesen, leider mit verschiedensten Interessen: fachlicher, nicht so speziell, gern auf Zeitungspapier, lieber digital, seriöser, lustiger, alles.
In der zweiten Runde bauen wir nun aus den gesammelten Antworten und Bedürfnissen eine einzige Person zusammen, den prototypischen Gesamtnutzer, die sogenannte Persona. Wie aber soll man aus 100 meist widersprüchlichen Antworten einen einzigen Kunden destillieren? Klare Sache: weg vom Speziellen, hin zum Gemeinsamen. Konkrete Themen fanden die meisten Nutzer gar nicht so wichtig, sondern Abwechslung. Ob Facebook-Kritik, Online-Dating oder App-Diät – alles wird gern gelesen, sofern der Text verständlich, anwenderfreundlich und unterhaltsam ist. Widersprüchlich ist die Lesermeinung vor allem beim Datenschutz – finden alle wichtig, aber nicht jetzt.
Wir verdichten die Antworten, bis eine Idealnutzerin entstanden ist: Sie heißt Susanne, ist Mitte 50, Angestellte, vielseitig interessiert, liest viel auf dem Tablet, fürchtet Datenklau und Cyberkriminalität und vertraut ihrer Zeitung. Dass Susanne gern auf Schiffsreisen geht und sich von Büffets überraschen lässt, hat uns geholfen, ein neues, schärferes Selbstbild zu entwickeln, wie beim ersten Mal mit vielen gelben Zetteln, brutalem Zeitdruck und dem bewährten Prozess des Design Thinking.
Wir denken über Themen und Überschriften nach, aber Susanne wünscht sich optimistische Stimmung, eine ordentliche Auswahl und Kompetenz. Sie sieht uns Journalisten weniger als Techniker, sondern eher als gut gelaunte Crew eines Ausflugsdampfers, die die Passagiere, also Leser, mitnimmt auf eine heitere, kluge, unterhaltsame Tour durch die Wasserstraßen einer unbekannten Stadt. Unsere Nutzer wollen weder Neunmalkluge noch Hibbelige, sondern charmante Stadtkenner, die Kathedralen ebenso kennen wie die düsteren Ecken, die erklären, aber auch beruhigen. Unsere Mitfahrer sind Professorinnen und Hausmänner, Opas und Singles, Internet-Fans und Skeptiker. Für alle ist was im Programm. Dieses Selbstbild vom Ausflugsdampfer mag banal klingen, aber hat unsere Arbeit als Netzentdecker wohltuend geschärft. Frei nach Richard David Precht müssen wir viele sein.
Und wie geht das? Zum Beispiel mit dem MoSCoW-Schema. Die Konsonanten stehen für „must“, „should“, „could“ und „won´t“, also: Was muss, was sollte, was könnte und was auf keinen Fall.
Fazit: Wir werden unsere Website aufräumen und weniger Fremdwörter benutzen. Und weil unsere Persona Susanne gern kurze Filme schaut, werden wir uns demnächst mit einem YouTube-Format versuchen, Projektname: Geronto-Rezo. Die Nutzer haben es so gewollt.
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