Amok, Attentat, Morde. Und ein Unternehmen hat womöglich Standorte, Uhrzeiten, Kontakte gespeichert. Was weiß Google über Tat und Täter?
Neulich sah ich einen faszinierenden Hack auf YouTube. Peter Lord, Manager beim Softwareproduzenten Oracle, demonstrierte, welche Informationen ein Smartphone mit dem Betriebssystem Android an Google liefert. Das Gerät ohne SIM-Card hatte weder einen Browser geöffnet noch eine App in Betrieb, sondern war nur mit dem WLAN verbunden. Auf einem Bildschirm war zu sehen, wie das Gerät gleichwohl im Sekundentakt an den Mutterkonzern funkte: Ort, Zeit, Bewegung, Temperatur, Luftdruck, Smartphones und Hotspots in der Nähe.
Das Betriebssystem Android ist von Google entwickelt worden und läuft auf schätzungsweise zweieinhalb Milliarden Smartphones, scheinbar kostenlos. Nicht ganz. Nutzer zahlen unter anderem mit ihren Daten, in Lords Experiment etwa vier MB pro Stunde. Es ist so, als stelle der weltreichste Konzern seinen Nutzern ein Trimmfahrrad ins Wohnzimmer: toll, kostenlose Fitness. Der entstehende Strom allerdings wird an Google geliefert.
Uns Nutzern mag das Smartphone wie ein Empfangsgerät erscheinen, doch jedes Gerät ist zugleich ein Sender, der geldwerte Daten über unser Verhalten schickt, etwa den Nachweis, dass wir die Webseite eines Kopfkissengeschäfts besucht haben, um wenig später in eben diesem Geschäft ein Kopfkissen zu erwerben. Nie konnte ein Medium so exakt nachweisen, dass seine Reklame funktioniert. Illegal? Aber nein. Ungeduldig, wie wir sind, haben wir den hellen, einladenden Okay-Knopf gedrückt und damit die romandicken Geschäftsbedingungen akzeptiert. Der Preis: „Wir wissen, wo Sie sind. Wir wissen, wo Sie waren. Wir wissen mehr oder weniger, worüber Sie nachdenken.“ So ungewohnt leichtsinnig beschrieb der frühere Google-Chef Eric Schmidt die Fähigkeiten der Datensammelstelle im Silicon Valley. Warum ein Teil der Daten in Lords Experiment zum Konkurrenten Facebook ging, bleibt eines von vielen Geheimnissen des Tech-Riesen. Was bekannt ist: Jede App, die in Googles Store verkauft wird, meldet ihre Daten ebenfalls an Google, hinzukommt das Material der Google-Tochter YouTube mit täglich einer Milliarde Stunden Videomaterial plus natürlich Google Maps.
Nein, diesmal kein Aufregen über Datensammelei, sondern die einfache Frage eines Laien: Wenn ein Android-Smartphone präzise aufzeichnet, was sein Besitzer treibt, was weiß Google dann über Straftaten? Wo hat sich der Amokfahrer von Volkmarsen vorher aufgehalten, mit wem telefoniert, auf welchen Webseiten herumgetrieben, welche Videos geschaut? Der Datenkonzern sollte oftmals wissen, ob und wann ein Überfall, eine Vergewaltigung, ein Einbruch stattfand, wer beteiligt war oder wann, wo ein Großdealer seinen Kleindealern die Ware übergeben hat und wer schließlich kaufte. Weiß Google laut Schmidt tatsächlich, was Android-Nutzer denken, wäre es sogar möglich, eine Radikalisierung zu verfolgen: Ab wann steuerte ein einsamer, verwirrter Mensch via Google-Suche immer extremere Seiten an, wie oft betrachtete er auf Google Maps bestimmte Straßen mit Shisha-Bars, wann lief er die Strecke ab, wie oft hielt er sich am Waffenschrank im Schützenverein auf?
Achtung, heikles Terrain: Die chinesische Regierung probiert in der Provinz Xinjiang das Prinzip der vorausschauenden Internierung. Von acht Millionen digital lückenlos überwachter Uiguren sollen bis zu einer Million interniert sein, auch, weil sie die falsche Webseite aufriefen. Im demokratischen Teil der Welt könnte Googles Weltwissen immerhin dabei helfen, Straftaten zu rekonstruieren sowie Hetzseiten oder Hintermänner zu identifizieren, wenn ein richterlicher Beschluss vorliegt. Etwa 10.000 Ersuchen um Offenlegung von Nutzerdaten gingen aus Deutschland bei Google im ersten Halbjahr 2019 ein, etwa drei Vierteln wurde entsprochen. Prognose: Dürfte in Zukunft deutlich mehr werden.
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