Die Wissensgesellschaft war eine schöne Utopie. Höchste Zeit, dass unsere Kinder in der Schule für die Unwissensgesellschaft fit gemacht werden. Erste Aufgabe, liebe Kinder: Nehmt ein Handy auseinander.

 

Wo ist eigentlich die „Wissensgesellschaft“ geblieben? Diese furchtbar schöne Floskel durfte im digitalen Bullshit-Bingo der Nuller-Jahre nie fehlen. Das Internet, so das Versprechen, würde das Wissen der Welt demokratisieren. Jeder Mensch würde Zugang zu allen Informationen haben, sich fortbilden, Fakten prüfen, gediegen debattieren, politisch vernünftige Entscheidungen treffen. Komisch, hat nicht geklappt.

Der Denkfehler bestand im Verwechseln von Menge und Tiefe. Immer mehr Wissen und Information zu den banalsten Themen bedeutet eben auch ein Anwachsen der Verwirrung. Willkommen in der Unwissensgesellschaft. Jeder Information wird sofort ihre Entkräftung mitgeliefert, ob als Studie, Gerücht oder Verschwörungstheorie. Klimawandel, die Erde als Scheibe, Angela Merkel Abkömmling von Reptiloiden – es war nie einfacher als heute, irgendeinen Unsinn zu googeln. Die schiere Menge sorgt dafür, dass wir allesamt an der Oberfläche kräuseln mit unserem gefühlten Wissen.

Hier wäre eine Reihe von Kulturtechniken gefragt, die unsere Kinder in der Schule lernen und mit in ihre Familie tragen: fröhliche Skepsis, kritische Neugier, ruhiges, beharrliches Prüfen. Doch wie vor hundert Jahren frage ich Konjunktivformen ab, ermutige zum Formelbimsen und beobachte, wie das Kooperative von der individuellen Hatz nach Noten überlagert wird. Die Kinder werden dressiert, Daten in ihren Kurzzeitspeicher zu pressen, auf Kommando abzurufen und den Lehrern vorzuspielen, dass sie Interesse hätten. Unser Schulsystem trainiert den Nachwuchs darauf, es zu überstehen. Immer mehr Bildung kommt woanders her, von YouTube oder aus Ferien-Computerkursen.

Die Schule hätte eine historische Chance, nicht nur Details zu vermitteln, sondern das gesamte Wissensmanagement, vom Prüfen seriöser Quellen über Plausibilitätstests bis hin zur Technik eines Smartphones. Ich frage mich seit meinem ersten Mobiltelefon, warum die Kinder dieses faszinierende Alltagsgerät nicht als Pflichtaufgabe in der Schule auseinandernehmen: Wie funktioniert das Senden und Speichern rein physikalisch? Was macht Instagram mit den Menschen?, fragt der Gesellschaftskundelehrer. Woher stammen Coltan und seltene Erden?, will der Erdkunde- oder Politiklehrende wissen. Von Cybermobbing bis Einsamkeit, von Porno bis Zocken, von Arbeitsbedingungen bis Weltwirtschaft, von Algorithmus bis Tarif-Abzocke – das kleine Ding, das nahezu jeder Schüler an sich trägt wie ein Körperteil, könnte einen wunderbar einfachen Zugang in eine neue Welt des Lehrens und Lernens bieten, fächerübergreifend, dicht am Leben. Zu einfach wahrscheinlich.

In einer idealen Welt würden unsere Kinder lernen, den Verheißungen der digitalen Kommunikation nicht blind und faul zu folgen, sondern sie aufgeklärt zu nutzen, weil sie bewerten können, welche Information woher stammt, welche Tücken sie birgt und welche Alternativen es gibt. Es geht weniger um das Ausspielen von digital gegen analog, sondern um ein Gespür für die beste Lösung.

Sollte ich die Lerninhalte der Zukunft umreißen, dann käme ich auf Kooperationsfähigkeit, kreatives Suchen, Ausdauer und Geduld. Gerade weil unsere Kinder mit dem Mythos der sofortigen und grenzenlosen Verfügbarkeit groß werden, kann die Schule zeigen, dass die Welt sich entwickelt, manchmal faszinierend langsam, wie Geologen wissen. Ob es nun die Tomaten im Schulgarten sind, das Brotbacken in der Schulküche, das Einüben einer Drehfigur in der Breakdance-AG – Analysieren, Üben, Gucken und noch mal von vorn. Man nennt es Lernen. Es sind keine neuen Instrumente, die uns gegen den Tempowahn der Digitalisierung immunisieren, nein, es ist die gute alte Geduld, die man fürs Dichten und Denken schon immer brauchte.