Bochum, das stand lange für Opel, Nokia, Niedergang. Wundersam, aber wahr: Heute steht hier eine einst ehrwürdig-träge Institution wie die IHK an der Spitze des digitalen Aufbruchs.

 

Wenn Mirco in der Berufsschule von seinem Arbeitgeber erzählte, dann schwiegen die anderen Azubis andächtig. Mirco berichtete von der Drohne, die er durch den gigantischen Kessel jagte, vom 3-D-Drucker, den er und die anderen jungen Leute anschaffen durften, und natürlich vom Chef, den alle „Nico“ nennen.

„Nico“ heißt Nicolas Korte, 56, federt auf seinen jugendlichen Sneakern durch die Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Bochum, zitiert den Hirnforscher Gerald Hüther und freut sich über seinen Mitarbeitenden Mirco Gantenberg, 21, der soeben vor zwei Dutzend Unternehmern locker über die Chancen des 3-D-Drucks referiert hat.

Korte ist Chef des Bochumer Anlagenbauers ETABO, der überaus analog produziert, Teile für Kraftwerke etwa. Doch auch die klassische Industrie steht unter Digitalisierungsdruck. Es geht ja nicht nur um Produkte, sondern um datengetriebene Verfahren, höheres Tempo und, neudeutsch, „crossfunktionale“ Teams: Experten kooperieren weitgehend hierarchiefrei, woran die Alten sich noch gewöhnen müssen.

Christiane Auffermann, 43, steht lächelnd neben Nico Korte. „Da bewegt sich was“, wispert sie gerade so, als wolle sie das zarte Pflänzlein Fortschritt nicht verschrecken, das in ihrer IHK sprießt. Auffermann hat zum 3-D-Symposium geladen, wo alle Branchen, alle Firmengrößen, alle Anwender aufeinandertreffen. „Vernetzen, vernetzen, vernetzen“, predigt sie.

Die IHK Mittleres Ruhrgebiet, zuständig für Herne, Witten, Hattingen und Bochum, hat aus der Krise Chancen wachsen lassen. Bochum, das war jahrelang ein Wort für Niedergang: Opel dicht, Nokia platt und auch der VfL weit vom alten Glanz entfernt. Glücksfall eins: Eric Weik, 48, übernahm die IHK. Weik ist von der FDP, verließ freiwillig sein Amt als Bürgermeister, will bewegen statt in Nostalgie zu versinken. Weik wusste: Mit Würdenträgerei und Gesellenprüfungsordnungen würde die schwelende Debatte über Zwangsmitgliedschaft und -gebühr kaum zu überleben sein.

Der neue Chef holte Christiane Auffermann, die zuvor lange beim Fraunhofer-Institut gearbeitet hatte. Als Trendscout bot sie den 28.000 Unternehmen eine gigantische Datenbank an, die zeigt, welche Innovationen in welcher Branche diskutiert werden. Heute hängen die Schwarzweiß-Porträts verdienter IHK-Präsidenten als ironisches Zitat im Treppenhaus, die Belegschaft tagt hierarchiearm im Kreis, Konferenzen finden in U-Bahn-Schächten oder Boxringen statt. Warum soviel Spektakel? Weil´s funktioniert. Seither kommen busweise IHK-Führungskräfte aus ganz Deutschland, um zu schauen, wie diese Bochumer den Sprung von der strengen Behörde zum empathischen Partner geschafft haben.

Hier fühlt sich auch Nico Korte wohl, der sein Unternehmen ähnlich konsequent in die Zukunft bugsiert. Sein Schlüsselerlebnis war die Begeisterung, die er bei seinen Azubis feststellte, als sie in der Technikerschule mit Computern herumspielen durften. Zurück im Betrieb verfielen die Jungen wieder in die Starre der Routinen. Statt der Peitsche packte Korte 3.000 Euro aus. Damit sollten die Azubis einen 3-D-Drucker anschaffen und irgendwas machen. Irgendwas? Ja. Irgendwas. Völlig frei. Wozu sie Lust hatten. Begeistert berichtet Mirco, wie die jungen Leute erst skeptisch, dann immer entschlossener tüftelten und das Gefühl genossen, „mal selbst was auf die Kette zu kriegen.“ Heute drucken sie empfindliche Bauteile, die früher mühsam geschweißt werden mussten. Genau darüber hat Mirco soeben referiert. „Unsere Azubis haben uns ganz neue Geschäftsfelder und Kunden erschlossen“, sagt Nico Korte stolz, „heute sind sie unsere Innovationsabteilung.“ Und? Aus welchem Fachbuch hat Nico Korte sich bedient? Er schüttelt den Kopf. „Es geht einfach nur um Vertrauen“, sagt er: „Wer keine Schafe haben will, darf keine Zäune bauen.“