Hajo hatte sich geschworen, ein Leben ohne Smartphone zu führen. Doch dann kam die Realität. Und der Job. Und das Leihfahrrad. Von einem, der schwach wurde, sich aber gut fühlt dabei.

 

Ich habe es getan. Es fühlt sich an wie Verrat, an meinen Werten, meiner Geschichte, Verrat an meinem kleinen, unschuldigen Samsung Galaxy S4 Mini, das da allein im Regal liegt, Eingeweide offen, Akku rausgerissen, ohne SIM-Card-Herz. Es ist nur ein altes Handy, sagt mein Verstand. Es ist eine Art zu leben, erwidert mein Herz.

Ja, ich habe es getan. Ich habe mir ein neues, leistungsfähiges Smartphone zugelegt, obwohl ich so ein Gerät nie wollte. Ein VW Käfer von 1973 ist auch nicht bequem, schon gar nicht im Winter, aber ein Statement: Ich brauche euren modernen Schnickschnack nicht, ich komme klar, ich bin nachhaltig.

Eine etwas verschrobene Haltung, wenn man von Berufs wegen viele Menschen erreichen möchte, die eines gemeinsam haben: das Smartphone. Inhalte, die wir Journalisten produzieren, werden vor allem mobil konsumiert und nicht nur gelesen: Podcast für die Ohren, Video für die Augen, Tweet-, Post- und Link-Schnipsel für alle, auch die Älteren. Ich liebe Zeitungen und die Lesenden, aber die Menschen tragen am Strand, in der Bahn oder im autonomen Auto gern mal Stöpsel im Ohr. Klar kann ich stur meine Word-Dokumente anfertigen. Ist nur töricht. Hätte ein Rezo-Aufsatz 16 Millionen Leser gehabt? Eben. Ich brauche also Gerätschaften für die neuen Kanäle. Will ich mich nun nostalgiestolz an der alten Handymöhre festklammern und mit Kamera und Aufnahmegerät rumlaufen?

Nein, runter vom hohen Ross des verletzten Dichters und rein in die Realität. Kill Your Darlings! Möhre, ich werde dich immer lieben, aber ich nutze ab sofort eine teure Apfelschnitte, zum Angeben vor den Kindern, aber auch weil ich den Umgang mit Kundendaten in Cupertino ernster genommen fühle.

Wie lange mich mein Verrätergefühl begleiten wird? Exakt bis zur ersten Dienstreise, nach Leipzig. Früher hätte ich meine Stadtplanausdrucke entwirrt, mich am Bahnhof in die Schlange vom sogenannten Info-Point gereiht, mich über den bescheuerten Namen aufgeregt, artig nach einem Plan gefragt und wäre schließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln so lange herumgeirrt, bis ich entnervt ein Taxi genommen hätte, um dennoch zu spät zu kommen.

Diesmal war alles anders. Erstmals hatte ich meine Fahrkarte in meinem neuen Smartphone gespeichert. Erhebendes Gefühl, wenn die Zugbegleiterin ihr Lesegerät zückt, piepen lässt und sich mit anerkennendem Blick verabschiedet. Läuft. Dann der Moment am Bahnhof: milder Spottblick auf die Schlange am „Info-Point“. Die App dirigiert mich zum Leihfahrrad, Smartphone auf die Nummer am Heck gerichtet, Schloss macht „Klack“, lauer Herbsttag, Radeln durch den Park, Gebühr: ein Euro. Selten so entspannt und überpünktlich angekommen. Das ist die positive Seite.

Andererseits stelle ich sofortige Verhaltensänderungen fest. Mein neues Gerät kann viel, also gucke ich viel. Sofort die Aktion Selbstschutz eingeleitet und ein Lederfutteral mit Klappe angeschafft. Alle Benachrichtigungstöne abgestellt. Nur WhatsApp und Mail, aber keine Social-Media-Apps, weder Twitter noch Facebook. Ein neues Smartphone ist wie der Job in einer Kneipe. Mal nippen – okay. Aber nicht jeden Tag alles durchprobieren. Suchtverhalten erkennt man daran, dass man es leugnet.

Noch immer herrscht Furcht vor diesem kleinen mächtigen Ding, von dem der Internet-Vordenker Richard Gutjahr sagt, es möge ein Teil von mir werden. Meinetwegen, aber nicht das Zentralorgan. Zugleich probiere ich fröhlich herum, nehme Interviews auf, drehe Filmchen, scheitere, verzweifle und frage unentwegt junge Menschen, wie was funktioniert. Es war wohl auch mein altmodisches Verständnis von Arbeit und Status, warum ich das Neue gefürchtet habe. Denn in hierarchischen Systemen fragen die Älteren nicht, sondern werden gefragt, weil sie ja alles wissen. Stimmt nicht. Hat nie gestimmt. Muss man nur mal kapieren.