Digitales Geld? Hajo kann die Begeisterung nicht verstehen. Wo scheinbar unbegrenzt Geld bereitliegt, wird auch viel zu viel ausgegeben.

 

Bargeld

 

Einer meiner größten Glücksmomente? Wenn ich eine alte Jacke aus ihrem halbdunklen Schrankverlies fische, auf Mottenspuren überprüfe und gedankenverloren durch die Taschen fahre. Huch, was knistert denn da? Zettel? Taxiquittung? Nein, viel besser: ein Zwanzig-Euro-Schein, gefaltet in Zufallsorigami, vor Ewigkeiten eingesteckt, vergessen – und jetzt wieder aufgetaucht.

Solches Glück erfährt Tu-Lam Pham nicht. Der Mann verabscheut Bargeld. Wer mit dem Smartphone bezahlt, wird nie wieder beklaut, kann kein Geld verlieren, bekommt alle Transaktionen dokumentiert. Tu-Lam Pham, 37, ist Volkswirt, Start-up-Gründer und der euphorischste Digitale, den ich kenne. Neulich hat er auf einem Markt in China einen Apfel mit dem Smartphone bezahlt. Er zeigt das Bild eines Bettlers, der keinen Hut vor sich stehen hat, sondern einen Zettel mit QR-Code, für digitale Spenden. Wie sich die Einnahmen seither wohl entwickelt haben?

Digitales Bezahlen ist vor allem bequem. Tu-Lam Pham schwärmt von Amazon Go, dem Supermarkt, den es seit 2016 in Seattle gibt. Der Kunde checkt per Smartphone ein und wird von unzähligen Kameras und Sensoren dabei beobachtet, was er in seine Taschen stopft. Am Ausgang warten weder Kasse noch Piep-Alarm, stattdessen gibt es eine Cent-genaue Abrechnung über alle Einkäufe. Amazon plant weltweit 3.000 solcher Läden. Toll, wenn sich eines Tages auch die Krankenkasse für die Einkäufe interessiert. Kohlenhydrate? Fett? Ein Bier gar? Na, da wollen wir den Tarif gleich mal anpassen. Tu-Lam Pham schwärmt von all der gesparten Zeit, die wir nicht mehr in Warteschlangen vertrödeln. Andererseits: Wie oft wurde schon Zeitersparnis versprochen? Und? Haben wir mehr Zeit als in der Pferdekutschen-Ära? Irgendwas ist wohl schiefgelaufen.

Deutschland gilt als Entwicklungsland beim bargeldlosen Bezahlen. Das liegt an Menschen wie mir. Früher, als die Welt übersichtlich war, hatte ich einen Sparelefanten aus grünem Plastik. Weil der Investment-Profi rät, nie alle Eier in einen Korb zu legen, sammelte ich zudem Ein- und Zwei-Pfennigmünzen in einer großen, leeren Vermouth-Flasche. Den eigenwilligen Geruch von Kupfer und altem Martini trage ich bis heute in der Nase, dazu den mütterlichen Hinweis im Ohr, dass das Geld schon von sehr vielen Menschen angefasst worden sei. Das ist sozial gerecht: Viel Geld bedeutete ein höheres Infektionsrisiko.

Meine Söhne grinsen natürlich wieder hämisch, wenn ich von früher erzähle. Warum mühsam Erspartes zusammenkratzen, wenn man das Smartphone lässig vors Lesegerät halten kann, fragen sie. „Genau deswegen“, erwidere ich. Bequemlichkeit ist ein anderes Wort für Kontrollverlust. Ein Schein ist endlich: Nach zwei T-Shirts ist maximal noch Klimpergeld für ein Eis übrig. Aua. War das zweite T-Shirt wirklich alternativlos?

Echtes Geld erzeugt Schmilzschmerz, weil es schwindet. Gut so. Knappheit zwingt zum Auswählen. Nur der Schein ist rein. Digitales Geld dagegen lügt, es simuliert unbegrenzte Verfügbarkeit, erst recht, wenn mir ein nettes Online-Unternehmen noch während eines Kaufs den One-Click-Kredit mit Zombie-Zinsen anbietet.

Schön, dass die Kinder stolz sind auf ihre „Fridays for Future“, wenn fürs Klima die Schule geschwänzt wird. Höchste Zeit, dass die Generation Heiermann auch mal protestiert, so ganz grundsätzlich. Hiermit rufe ich auf zu „Mondays for Money“, wahlweise zum „Brückentag für Bargeld“. Wir demonstrieren nicht auf der Straße, sondern an den Kassen des Landes. Den ganzen Tag lang werden wir nicht ein einziges Mal Plastikgeld zücken oder gar unsere kontaktlose Handy-Börse bemühen. Stattdessen wird alles immer und überall bar bezahlt, mit kleinen Scheinen. Unpraktisch? Mag sein. Dauert lange? Auch wahr. Und genau das macht den Reiz aus. Wer Geld gemächlich ausgibt, hat einfach mehr davon.