Abhauen nach Neuseeland. Trump ist schuld. Nein, Putin. Dosenbunkern im Keller. Wie ein digital verstärktes Virus ganz normale Menschen in den Wahnsinn treibt.

 

Neulich beim Staubsaugen in der Küche habe ich mehrere Haferflocken und Bruchnudeln aufgesaugt. Kurz überlegt. Ist das in Hamsterzeiten Sünde? Würde ich den Staubsaugerbeutel in zwei, drei Wochen durchwühlen, panisch auf der Suche nach Kohlehydratspendern, um noch ein paar Stunden zu leben, während draußen die Welt untergeht? Oder sollte ich die Krümel einfach ignorieren so wie die Konservenregale im Supermarkt? Langsam wachsen Zweifel und Panik. Bin ich der einzige gutgläubige Idiot, während alle anderen ihre Keller vollstopfen, mit Stacheldraht sichern und mir Hungerleider die Doppelläufige an die Schläfe drücken? Kein Quatsch, es kommt derzeit nicht nur zu massivem Diebstahl von Mundschutz und Desinfektionsmittel in Krankenhäusern und Arztpraxen, sondern zunehmend zu Kellerkriminalität. Her mit den Ravioli, Ex-Nachbar!

Ich bin ja von Berufs wegen schon paranoid, aber das digital verstärkte Virus schlägt alles. Klassische Medien haben in Krisenzeiten ein paar Mal am Tag berichtet. Jetzt tobt der Irrsinn rund um die Uhr. Neulich zeigte mir ein Freund die WhatsApp-Kommunikation von Kita-Eltern, sicher keine Milliardäre, aber Menschen, die sich den Einkauf im Bioladen, Yoga-Workshops und ansehnliche Smartphones leisten können; Bürger von Bildung und metropolitaner Gelassenheit, sollte man meinen. Von wegen. Praktisch rund um die Uhr heizten sich die Jungeltern in ihren Endzeitphantasien an. Ein Vater, der aus den USA stammt, verkündete, er wolle mitsamt beider Kleinkinder nach Arizona auf die Ranch eines Freundes fliegen, wo sonst kein Mensch wohne, ein Gemüsegarten Nahrung liefere und ein Brunnen Wasser – Arizona gegen Corona. Achtung, entgegnete eine Mutter, die USA seien problematisch, da das Virus ja von Donald Trump geschickt worden sei, um der chinesischen Wirtschaft zu schaden. Bald werde Peking zurückschlagen, weshalb die Vereinigten Staaten bald ein Trümmerfeld seien, auch Arizona. Putin, entgegnete eine Mutter, eindeutig habe der russische Präsident das Virus losgeschickt. Das habe sie aus dem Internet. Und er habe seinem Kumpel Erdogan befohlen, Flüchtlinge nach Griechenland zu schicken. Europa sei am Ende, erklärte die Mutter, das wüssten doch ohnehin alle. Stünde auch im Internet.

Australien, bot ein anderer Vater, er kenne da jemanden. Aber nein, hieß es, dort tobten diese Buschbrände. Neuseeland, schrieb der nächste. Ja, antworteten die anderen erleichtert. Like. Dann fragte einer, was die anderen denn so horten. Plötzlich geriet die Debatte auffallend einsilbig. Keiner mochte sich als Dosenfuttersammler outen. Selten war Schweigen eine klarere Antwort: Vermutlich waren zahllose Kreuzberger Flure inzwischen unpassierbar wegen all der Vorräte.

Ich dachte zunächst an Satire. Aber mir wurde versichert, dass die WhatsApp-Debatte seit einer Woche tobe, auch nachts. Erst wurde homöopathische Abwehr diskutiert, dann Verschwörungstheorien, jetzt Fluchtorte. Auf Applaus darf jede/r zählen, die/der Verzweifeltes über die Weltlage äußert, etwa, dass unser kapitalistisches System am Ende sei, sich der Raubbau an Mutter Erde räche und die Überbevölkerung.

Jungeltern sind schnelle Brüter, was Hysterie angeht, das weiß ich aus eigener Erfahrung. In Zeiten von digital befeuerter Corona-Angst wird es allerdings krankhaft. Der toxische Mix aus Seriösem, Irrem, Halbwissen, Geschäftemachern und Klickgeiern sowie die Chance, jede Idiotie in Echtzeit auszutauschen, macht das Internet nicht etwa zu einer Besonnenheitsmaschine, sondern wirkt wie ein Panikbeschleuniger, der zugleich die Sucht nach mehr anheizt. Nicht das Virus ist die Pest, sondern das digitale Geraune darüber, das das schlimmste Virus in der Geschichte der Menschheit freisetzt: Misstrauen.