Vor drei Jahren hat sich Hajo einen Chip unter die Haut pflanzen lassen. Ein bescheuerte Idee. Aber wie bekommt man das Teil nun wieder aus der Hand?

Ich habe ein kleines, bizarres Geheimnis. Im weichen Dreieck des linken Handrückens steckt unter der Haut ein Chip, seit drei Jahren. Leider ist das Ding eine Enttäuschung. Noch immer kann ich damit weder mein Rad entsperren noch das Kantinenessen bezahlen. Ich würde den Chip gern wieder loswerden. Mit meinem Taschenmesser habe ich meine zartrosa Haut schon mal angeritzt. Aber ich traue mich nicht tiefer.

Zum Chip kam ich zufällig, weil ich meine Klappe nicht halten und meine Söhne beeindrucken wollte. Ich leitete 2017 eine Gesprächsrunde mit Dr. Patrick Kramer, der über unser aller Zukunft als Cyborgs referierte, also über das Kurzschließen von Mensch und Maschine, wie bei Terminator Arnold, wo die Infos gleich ins Hirn gespielt werden. Weil die Schnittstelle am Hinterkopf noch nicht ganz ausgereift ist, präsentierte Dr. Kramer eine Brückentechnologie: den eingepflanzten Chip.

Ich wollte einmal in meinem Leben zur Avantgarde gehören und meldete mich, als Kramer fragte, wer sich so ein Glasröhrchen unter die Haut würde schießen lassen. Die Frage hielt ich für eine theoretische. Leider bat Kramer mich auf die Terrasse, wo er seinen mobilen OP ausgerollt hatte. Ach du Schreck. Alle Augen auf mich. Nein, jetzt weder wegrennen noch ohnmächtig werden. “Schön, dass Sie wenigstens Doktor sind“, sagte ich betont lässig. „Kein Mediziner“, entgegnete er fröhlich. Ich glaube, er murmelte was von Soziologie. „Oh“, sagte ich. Das Publikum grinste und zückte das Smartphone.

Kramer ist Prophet des Biohackings und setzt damit die alte Story vom optimierten Menschen fort, nur eben nicht mehr mit Multivitamintabletten, sondern digital. Er nennt sich Chief Cyborg Officer und zeigt gern die Implantate in seinen Händen, eines davon öffnet die Haustür. Interessant, wenn man sein eigenes Haus besitzt. Problematisch, wenn man in unserem Altbau dreißig bis fünfzig Menschen überzeugen müsste, sich einen Chip in die Hand rammen zu lassen, obgleich das Schlüssel-Prinzip seit Generationen zuverlässig funktioniert. Mit einer App auf dem Smartphone könne ich jederzeit was auf den Chip programmieren, lockt der Chief Cyborg, zum Beispiel meine Visitenkarte. Aber ich habe noch Hunderte auf Pappe.

Dr. Kramer desinfiziert meine Hand. „Betäubung?“ Ich nicke hektisch. „Brauchen wir nicht“, sagt Kramer und presst mir eine sehr großen Spritze in die Hand. „Reiskorngröße“, sagt Kramer. Fühlt sich an wie lange gequollener Risottoreis. „Mach´ endlich“, stöhne ich. „Schon passiert“, sagt Kramer. Huch. Tat gar nicht mal so weh. Ich genieße die haltlose Bewunderung der Weicheier ringsum. Endlich ein Chippendale.

Zuhause zeigte ich den Chip meinen Kindern, die ein wenig angeekelt auf den Knubbel in meiner Hand starrten, den ich hin- und herflutschen ließ. Insgeheim hatte ich gehofft, bei Klassenkameraden vorgeführt zu werden, als cooler Dad. Fehlanzeige. Die Gattin interessierte sich für die Aussicht, mich künftig zu orten. Das war die Heldenstory. Seither habe ich weder Schloss geöffnet noch Visitenkarte gespeichert. Die ersten Wochen spielte ich mit dem Ding, ließ es hervorstechen, gern beiläufig in der Öffentlichkeit, in der Hoffnung, jemand würde mich bewundern. Dann vergaß ich das Röhrchen, bis ich mit dem Rad stürzte, auf die Hand, und sich um den kleinen Gesellen eine bläuliche Stelle bildete. Fazit: Ich brauche den Chip so dringend wie einen Humidor, also gar nicht. Und wenn es mal sein muss, habe ich in wenigen Minuten einen neuen.

Neulich las ich eine Geschichte über Mitarbeiter des Reisekonzerns TUI, die sich freiwillig chippen lassen, um Drucker zu aktivieren oder Snackautomaten zu bedienen. 115 von 500 Mitarbeitern der TUI Nordic tragen einen Chip. Ich erinnere mich an die alte Hipster-Regel, dass man einen Trend ignorieren sollte, wenn er Mainstream geworden ist. Chip? Hat doch heute jeder. Also weg damit. Ich desinfiziere das Messer schon mal.