Deutschlands Gamer haben sich auf Horst Seehofer eingeschossen. Dabei macht der Bundesinnenminister einige wichtige Punkte, kann sich aber nicht so treffend ausdrücken, findet unser Kolumnist.

 

Früher waren unsere Eltern ausgesprochen skeptisch, wenn wir Comics konsumierten. Asterix wurde akzeptiert, weil es um Julius Cäsar ging, das alte Rom, Bildung halt. Die Prügeleien des dicken Obelix mit den Legionären sorgten dagegen für Irritation: Da wurde ins Gesicht geschlagen, Zähne flogen, Knochen verbogen sich. Was daran lustig sei, wollte mein Vater wissen. Er war als Soldat im Krieg gewesen. Noch brutaler ging es im Fernsehen zu, bei Tom & Jerry oder dem Koyoten Karl: Die Viecher teilten sich mit Beilen und sprengten sich in die Luft, um wenig später unverletzt durchs Bild zu rennen.

Wir Kinder beömmelten uns, denn erstens regten sich unsere Eltern auf, und zweitens wurde ein Tabu gebrochen. In Kindergarten und Schule wurde pazifistisches Miteinander gepredigt. Ganz ehrlich: Ich genoss das Schuldgefühl beim Comic-Gucken. Zeichentrickgewalt war für Kinder wie Pornografie für die Älteren: Da wurden Dinge gezeigt, die man im Alltag nicht zu sehen bekam. Zugleich hoffte ich inständig, dass die Theorie vom Dampfablassen galt: Wer Gewalt konsumiert, übt angeblich selbst weniger aus. Unsere Eltern hingen wiederum der Nachmach-These an: Wer Gewalt guckt, der wird aggressiver.

Horst Seehofer hat nach den tödlichen Schüssen von Halle die alte Vorbild-Theorie noch mal ausgepackt, so als ob „Schneewittchen“ die perfekte Anleitung zum Stieftochtermord bietet. Weil die simulierte Gewalt mancher Spiele den Tätern als Anleitung für Attentate diene, müsse „die Gamer-Szene stärker in den Blick“ genommen werden, forderte der Bundesinnenminister, also etwa drei Viertel der Bürger unter 40 Jahren.

Wie immer, wenn Computerspiele in die Nähe von Straftaten gerückt werden, fielen die Reaktionen brutalstmöglich und selten sachlich aus. Alle auf Horst, hieß die Parole, der alte analoge Mann habe keine Ahnung. Doch wo Wut schäumt, ist Scham nicht weit. So wie wir früher wussten, dass bei Tom & Jerry Grenzen überschritten wurden, ahnen vernunftbegabte Gamer, und das sind die meisten, dass das digitale Geballer, wenn auch nur spielerisch, manch rote Linie verletzt. Gewalt wird als angemessenes und oft als einziges Mittel des Problemlösens angeboten. Selbst bei Rollenspielen lässt sich ein Konflikt kaum mit Verhandlung, Kooperation oder Empathie lösen. Ballern, Kloppen, Hinrichten wird ganzen Generationen, wenn auch spielerisch, als alleinige Strategie angeboten. Wer siegen will, muss töten.

Hätte Seehofer sich mit jüngeren Mitarbeitern seines Hauses unterhalten, wären seine Überlegungen womöglich etwas ziselierter ausgefallen. Es trifft ja zu, dass viele Attentate der Ästhetik sogenannter „Ego-Shooter“ entsprechen: Helm-Kamera, das nervöse Suchen nach Gegnern, der einsame Rächer im Kampf um Leben und Tod. Was aber simulieren diese Spiele? Richtig, die Realität, wenn Spezialeinheiten irgendwo auf der Welt, oft ohne rechtliche Grundlage, Menschen jagen und exekutieren, etwa den Ober-Terroristen Osama bin Laden. Gewalt, und nur Gewalt, scheint legitim. Ganz nebenbei: Warum wohl wirbt die Bundeswehr auf der Spielemesse Gamescom bei oft noch Minderjährigen für aufregende Jobs bei der Truppe? Computerspiele simulieren keine Weltuntergänge, sondern bisweilen Regierungshandeln.

Das größte Problem aber hat Seehofer gar nicht erwähnt: Und das liegt in seinem eigenen Haus. Fast alle Attentäter haben sich in einem von wenigen Foren informiert und auch radikalisiert, dort, wo Attentäter für die Zahl ihrer Opfer in digitalen Ruhmeshallen gefeiert werden, wo der Selbstbau von Waffen gelehrt wird und allerlei ekelhafter Applaus für die Täter, von Norwegen bis Neuseeland. Herr Minister, machen Sie sich schlau und stellen Sie ein paar Gamer ein, die die Beamten zu diesen Ekelforen führen und Wege weisen, sie auszutrocknen.