EU-Kommissar Oettinger verrät, warum er Moskaus Manipulations-TV schaut, welche App er heimlich nutzt und ob sein Englisch besser geworden ist.

 

House of EuropeWar es nun Glück oder Pech, dass Günther Oettinger seine legendäre englisch-schwäbische Rede schon vor zehn Jahren gehalten hat? Der Schwabe spare an allem, auch an der Aussprache, höhnten damals die Kommentatoren. „Das hat meiner Bekanntheit geholfen“, sagt Oettinger nicht ohne Pannenstolz; sein episches Gestammel dürfte gleichauf mit Edmund Stoibers Flughafen-Rap liegen. Lange her. Und womöglich gut so. Wie viele Veräppelungen hätte die schrecklich kreative Netzgemeinde wohl heute aus der verunglückten Ansprache geschaffen? Und wie brutal hätten die Feinde Europas den Mann vom Bildungsstandort Baden-Württemberg als Beleg für Brüsseler Unfähigkeit benutzt?

 

Seit Trump-Wahl und Brexit-Referendum gilt in Brüssel als abgemacht, dass finstere Mächte diese Europawahl mit Fake und Hohn manipulieren würden. Die tschechische Justiz-Kommissarin Vera Jourova warnt vor Desinformation und Einmischung, Trumps einstiger Manipulator Steve Bannon soll die europäische Rechte beraten. „Der Ton ist sehr viel brutaler geworden“, bemerkt Haushaltskommissar Oettinger, weist aber darauf hin, dass die Boulevardpresse in analogen Zeiten auch nicht immer durch Wahrheitsliebe und Detailtreue glänzte. Digital verbreitet sich der Schmutz allerdings schneller und bleibt länger kleben. Selbst die notorisch entspannte Kanzlerin fürchtet Cyber-Attacken.

Nur: Bis zehn Tage vor der Wahl waren kaum außergewöhnliche Vorkommnisse im digitalen Raum zu verzeichnen, was einerseits bedeuten kann, dass die manipulative Erosion Europas so geheim verläuft, dass sie kaum auffällt, oder andererseits, dass die Feinde Europas die Strategie der asymmetrischen Demobilisierung anwenden: Die gemäßigten Wähler sollen durch Themen- und Emotionsarmut von der Wahl ferngehalten werden, was die Stimmen der Radikalen verhältnismäßig aufwertet.

„Europa braucht eine Cyber-Strategie“, fordert Oettinger, und dazu das Bewusstsein, dass EU-Gegner innerhalb Europas und Kräfte von außerhalb die Gemeinschaft gemeinsam lächerlich und unglaubwürdig machen. Das russische Propagandaportal Ruptly verbreitet gern unvorteilhafte Videos von Kommissionspräsident Juncker, der allerdings auch immer wieder gute Motive liefert, wenn er Europapolitiker hinterrücks attackiert und verwuschelt oder bisweilen seebärenhaft wankt. „Ischias“, erklärte Juncker. Alkohol, verbreiteten Ruptly sowie Italiens Innenminister Matteo Salvini. Putins Propagandisten gelingen immer wieder merkwürdige Allianzen, wenn etwa deutsche Sender, auch der Komiker Jan Böhmermann, russische Schnipsel übernehmen, ausgesprochen kostengünstig übrig. Der Haushalts-Kommissar sieht die aus Moskau gesteuerten Sender zwar skeptisch, aber wenn er nicht gerade auf seiner Skat-App gegen digitale Gegner ramscht, „schaue ich ab und zu Russia Today und treffe deren Journalisten.“ Vorbehalte seien geboten, Hysterie aber nicht, denn schwache Quoten stünden immensen Kosten gegenüber.

Laut CIA haben allein die Moskauer Trolle ein Jahresbudget von 360 Millionen Euro, die Brüsseler Abwehr hat mit fünf Millionen auszukommen. Das wackere Team von „EU vs Disinfo“ dokumentiert und korrigiert mit einem guten Dutzend Experten Falschmeldungen, fast 2.500 in den vergangenen zwei Jahren. Derzeit verbreitet die Gegenseite, dass das schnelle G5-Netz krank mache.

Auf Oettingers Englisch als besonders perfide Abwehrstrategie kann sich die EU auch nicht mehr verlassen. Der Schwabe hat an seiner Verständlichkeit gearbeitet und vermeldet stolz: „Die Spanier sprechen viel härter als ich.“