Wirecard, WeWork, Lieferando – das Start-up gilt als Leitbild für frische ökonomische Kraft. Oder handelt es sich eher um Simulationen, die wir uns schön denken wollen?

 

Ein bisschen neidisch war ich schon, als ich die lichtdurchfluteten Neubauwürfel durchmaß. Vorn Sofas zum Chillen, dahinter tatsächlich ein Kicker, bunter Obstteller, Ausblick über Tiergarten, Brandenburger Tor, Kanzleramt, ganz Berlin. Überall junge, kraftstrotzende Menschen, die die kurze Mittagspause mit Goji-Bowl und Pilates füllten. WeWork – sechs Buchstaben, die die Zukunft der Arbeit umrissen. Ich war leider nur zu Besuch.

Die Idee ist fantastisch. In den tollsten Städten der Welt vermietet WeWork keine Arbeitsflächen, sondern das Lebensgefühl des Silicon Valley, zwischen Garage, Sofa und Yogamatte. Ein befreundeter Unternehmer schwärmte, wie er sein Unternehmen aus einem Hinterhofbüro in ein solches Co-Working-Space umgesiedelt habe: fünfzig Arbeitsplätze zum attraktiven Komplettpreis, dafür nie wieder Ärger mit Heizung, Internet oder muckenden Aufzügen.

In der zweiten Jahreshälfte 2019 war dann ausgeweworked. Die nette Idee hatte sich als nicht einträglich erwiesen. Softbank, einer der berüchtigtsten Investoren der Welt, war kurz vor der Pleite eingestiegen – kein gutes Zeichen. Mit der Simulation von Silicon Valley hatte WeWork die Start-up-Hysterie endgültig beerdigt. Aus einem Prinzip war eine modische, aber letztlich leere Attitüde der Ökonomie geworden. Fußballprofis sind ja auch keine elf Freunde mehr.

Keine Wahlkampfrede kommt ohne „Start-up-Förderung“ aus, jede Frittenbude will „Start-up-Kultur“ installieren. Was aber verbirgt sich hinter diesem Begriff, der „Anfang“ bedeutet, „Anlauf“ oder „Anlassen“? Der Gründungsmythos des Digitalen geht etwa so: Eine Horde genial-verrückter Nerds baut zwischen Pizzakartons und Energydrink-Dosen ein neues tolles Ding. Probleme werden „agil“ gelöst, superflexibel, bevorzugt im „Sprint“. Dann wird die kleine Digitalfirma von Google für drei Milliarden übernommen, natürlich sind alle Mitarbeiter am Gewinn beteiligt. Start-up stand früher mal für schnellen Reichtum als fairen Lohn dafür, dass jemand drei, vier Jahre lang entgegen allen tarifvertraglichen Regeln gerackert hat. Start-up heißt heute: Spielball von Investoren. Was zum Beispiel haben WeWork, Delivery Hero oder Wirecard mit der Garagen-Story von einst zu tun? Rein gar nichts. Aber von der Kanzlerin über Wirtschaftsprüfer bis zum Kleinanleger wollen alle das Innovationsmärchen glauben. Reporter mussten sich von Wirecard-Aktionären anfeinden lassen, was ihnen einfiele, die ruhmreiche Milliardenfirma aus Aschheim durch Recherche zu lädieren.

Exemplarisch zeigte der Wirtschaftskrieg der Essenslieferdienste, wie sich fast ein Jahrzehnt lang konkurrierende Anbieter bekriegten, so wie es bei Gutscheinportalen, Putzkräften oder Mietrollern auch geschah. Die „ruinöse Schlacht“, so Capital, habe „viele Verlierer“ hervorgebracht, vor allem die Kunden, die für schlechteren Service künftig mehr bezahlen.

Nun ist Delivery Hero in den Dax geklettert, ohne je Gewinn gemacht zu haben. Die Hoffnung: Befeuert von schier grenzenlosem Investorenkapital entsteht ein Monopol, das kein Versprechen der New Economy – billiger, schneller, besser – hält, weil ungeduldige Investoren auszuzahlen sind. So wird zwischen ausgebeuteten Fahrern und wolkigen Geschäftsmodellen der Mythos Start-up begraben.

Entschied früher vor allem eine neue Idee, herrscht heute ein brutales Zerstörungsbusiness, getreu dem Fetisch von der „Disruption“, dem Kaputtmachen eines traditionellen Marktes oder Erlösmodells, das danach digitalisiert aufersteht. Was übersehen wird: Disruption gilt nicht nur für Geschäftsideen, sondern auch für Seelen, Beziehungen, Demokratien. Nicht jede Zerstörung ist schöpferisch, manche hinterlassen wirklich nur Trümmer. Es ist höchste Zeit, mal wieder ein anständiges Unternehmen zu gründen.

 

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