Mit großer Euphorie hatte sich unser Kolumnist in einen Programmierkurs gestürzt. Lebenslanges Lernen, am besten online – das wird ja wohl nicht so schwer sein. Leider doch.

 

Ich fühle mich schlecht. Ich hab´s vermasselt. Ich bin ein schlechtes Vorbild. So wird das nichts mit dem Kampf gegen die Chinesen und all die anderen hochmotivierten Digitalkrieger. Vor einigen Monaten hatte ich hochmotiviert einen Online-Kurs begonnen, um künftig selbst eine App programmieren zu können. Die Aufgabe erschien mir lösbar: vier Wochen lang ein paar Stündchen Niedrigschwelliges nach Feierabend, dazu einige Tests und Tüfteleien, um schließlich eine tolle Anwendung geschaffen zu haben, die die Welt vielleicht nicht braucht, aber mir das Gefühl gibt, nicht abgehängt zu sein. Betreut von Stanford-Professoren und geborgen in einem weltweiten Netzwerk von hilfsbereiten Mitstreitern – was sollte da schiefgehen? Modernes Lernen ist ja total easy: Tasse Kaffee, Community-Blick, ein paar lässige Klicks und bei Stress mal eben abgetaucht im Bällebad. Die Söhne waren beeindruckt, selbst der Gattin fiel keine Bösartigkeit ein. Ich war diese Zukunft, von der alle redeten.

Aber nicht lange. Woche eins klappte noch ganz gut. Dann die erste Hürde. Ich sollte mein Projekt inklusive Arbeitsplan online vorstellen. Plötzlich fand ich meine Ideen gar nicht mehr so gut, fürchtete das höhnische Prusten der Juroren, verschob den Termin der Präsentation, ließ Selbstzweifel überhandnehmen, versuchte zwei, drei Mal einen Neustart, um festzustellen, dass all das Gelernte längst wieder vergessen war, kurz: Ich hatte versagt. Kein Biss. Keine Ausdauer. Vielleicht hätte auch ein Tritt in den Hintern geholfen.

„Lebenslanges Lernen“ – das klingt wirklich dufte. Auch mit 70 noch knackig frisch für den Arbeitsmarkt, mal eben von Redakteur auf Socialmedia-Hexer umschulen und dann auf Projekt-Manager, weil heute eben alles in Projekten läuft, ratzfatz, kleine Gruppen von Spezialisten, mit hohem Design-Thinking-Anteil, kollaborativ, transformativ und natürlich disruptiv. Aber ich kann nicht mal eine lausige App programmieren.

Zum Glück bin ich nicht allein mit meiner Zukunftsinkompatibilität. Als die Harvard-Universität gemeinsam mit dem MIT 2012 ihren Computerkurs für Einsteiger erstmals digital anbot, meldeten sich 180.000 begeisterte Menschen an. Den Abschluss machten noch gut 1.400 Unentwegte. Und der große Rest? Konnte nach anfänglicher Euphorie nicht folgen, hatte die Lust verloren, irgendwas kommt ja gern mal dazwischen. Ohne Gruppendruck steigt sich´s halt auch leichter wieder aus. Kommt mir alles bekannt vor. Haben wir es beim E-Learning womöglich mit einem weiteren digitalen Mythos zu tun? Hilft es eigentlich der Volksklugheit oder dem Elektronikvertrieb, wenn wir unsere Kinder nun allesamt mit Tablet-Computern ausrüsten?

Das große Missverständnis an der Idee vom selbstbestimmten lebenslangen Lernen mit digitalen Mitteln: Die Menschen sind immer noch dieselben. Warum sollten sie leichter lernen, nur weil die Inhalte auf einem Bildschirm zu sehen sind? Eine komplexe Frage ist auch im Internet schwer zu lösen. Und standardisierte Antworten helfen dem Hilfesuchenden nicht immer weiter. Schon früher empfand ich größten Respekt für die Studierenden der Fernuni Hagen, die sich ganz allein durch Papierberge fressen mussten. Die größte digitale Lernmaschine wird nicht von Unis geboten, sondern von YouTube, wo Nachhilfe simuliert wird: Kundige junge Menschen erklären dem Rest, wie die Sache mit den Gleichungen funktioniert.

In Harvard wurde über die Jahre ermittelt, warum die Abbrecherquoten bei E-Learnern so immens hoch liegen. Die Forscher fanden heraus, dass Gruppen von etwa 25 Lernenden besonders effektiv arbeiten, vor allem dann, wenn eine Lehrkraft anwesend ist, pro Woche etwa 90 Minuten lang Fachthemen diskutiert werden und dann jeder noch für sich selbst lernt. Wird dieser revolutionäre Ansatz in Schulen und Seminaren nicht schon seit einer Weile geprobt?