Wie hat Hajo die ersten Monate mit Smartphone er- und überlebt? Zunächst hat er radikal die Machtfrage gestellt: Wer kommandiert hier eigentlich wen?
Neulich beobachtete ich den sehr engen Mitarbeiter eines sehr wichtigen Politikers, wie er auf einem Stehempfang präzise alle neunzig Sekunden sein Smartphone aus der Hosentasche zog, einen kurzen Blick darauf warf, bei dem er nicht viel erkennen konnte und das Gerät zurücksteckte. Ob am Tresen, mitten im Gespräch, während er einen Schluck nahm, zuverlässig behielt er seinen Rhythmus bei. Ob das den ganzen Tag so geht? Überall? Nachts?
Ich hatte auch mal diese Automatisierungsphase. Damals, als ich Marathontraining mit Lebensinhalt verwechselt habe, starrte ich unablässig auf die Pulsuhr, nicht etwa, um Informationen über Herzfrequenz, getötete Kalorien oder Tagesschritte zu erhalten, sondern um mir selbst zu versichern, dass ich am Leben bin. Tut gut. Rhythmisch saugt die Lunge Luft an, rhythmisch pumpt das Herz unser Blut, rhythmisch sagt das Smartphone dem Unterbewusstsein, dass wir noch drin sind im kollektiven Digitalien. Ich bewundere Menschen, die das Smartphone vollständig in sich integriert haben.
Ich dagegen mache mir ganz unlindnerhaft quälende Gedanken, weil ich seit einem Vierteljahr wieder ein Smartphone besitze, einen digitalen C-Kadett, weder schön noch schnell, aber zuverlässig. Vor vier Jahren hatte ich das Smartphone radikal verbannt, weil: zu viel Information. Mein Arbeitsspeicher hat nur die Größe eines Notizzettels. Damit entspreche ich der Norm, sagt die renommierte Lernforscherin Barbara Oakley, deren Online-Kurs „Learning how to learn“ weltweit von Millionen Menschen absolviert wurde. Wir können nicht mehr als vier Aufgaben gleichzeitig bearbeiten, weiß Oakley: Während ich schreibe, kann ich Musik hören, das Frühstückshungergrummeln ignorieren und mich auf nächste Kapitel „Helix“ von Marcel Eisberg freuen. Das war´s. Pingen jetzt neue Mails oder Facebook-Messages, dann qualmt der Speicher und die Qualität der Arbeit sinkt rapide. Gilt leider zu 110 Prozent für mich. Aus Demut vor der eigenen Beschränktheit habe ich mich also entsmartphoned.
Und? Wie liefen die drei Monate wieder druff? Erstaunlich entspannt. Weil ich ganz katalanisch die Autonomiefrage gestellt habe, also: Wer hat die Macht: Mensch oder Maschine? Insbesondere mein Interview mit dem Bildungsforscher Gerd Gigerenzer , hat mir noch mal klar gemacht: Das Smartphone ist ein dual-use-Gerät, eine Technologie mit zwei Seelen. Mir, dem Nutzer, bietet das Gerät in etwa zwanzig Prozent der Nutzungszeit praktische Hilfe, der Rest ist Glotzen. Für die Anbieter verhält es sich umgekehrt: Sie schenken mir zwanzig Prozent Nutzen, um meine achtzig Prozent Starrzeit zu monetarisieren. Glotzte ich in diesem Moment auf Bikinimädchen aus Kroatien, würde mein Kontakt vollautomatisch für ein paar Centkrümel an einen Reiseanbieter verkauft. Oder an den Bikinifachhandel. Oderoder.
Auf Sylt soll es ein Kokstaxi geben, das auf Bestellung Stoff nach Hause liefert. Das Smartphone ist wie das Kokstaxi, das eine Droge namens Zerstreuung ausschließlich während der Fahrt ausgibt. Der Fahrer erzählt mir Witze, schenkt mir Likes, Ideen, Bikinis, die zu mir passen, Wut, Wetter, Klatsch, nur damit ich sitzen bleibe und immer mehr von meinen kleinen miesen Vorlieben preisgebe, die er wiederum umgehend weiter vertickt. Machtfrage: Wer sagt: „Stop!“
Und, was dagegen tun? Ganz einfach: offline gehen. Weil ich keine Droge will, sondern ein Werkzeug, bin ich nur online, wenn ich den DB-Navigator für den nächsten Zuganschluss brauche, unterwegs eine dringende Mail lesen oder whatsappen muss. Ansonsten: off mit zwei Klicks. Das Smartphone als Handy. Kein Facebook unterwegs, kein Twitter. Lesestoff ist heruntergeladen. Ich renne ja auch nicht den ganzen Tag mit Spaten rum, nur weil ich vielleicht am Nachmittag kurz mal ein Loch ausheben muss.
Immer mehr Programme helfen dabei, den Smartphone-Konsum zu drosseln. Eine Auswahl gibt´s hier.
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