Die Datenwirtschaft kann den alten Traum von Karl Marx verwirklichen: eine zentral gesteuerte Plattform-Ökonomie, die den Kapitalismus ablöst. Alles eine Frage der Informationen.
Zu den bekanntesten Schwindeleien von Wirtschaftskapitänen gehört das Bekenntnis zum Wettbewerb, der die Qualität hoch und die Preise niedrig halten soll. Insgeheim träumen Unternehmer eher vom Verschwinden der Konkurrenz, ganz gleich, ob Blumenladen nebenan oder Weltkonzern.
Die Digitalkonzerne haben schlaue Konzepte entwickelt, um das Prinzip des Wettbewerbs zu untergraben, das Ludwig Erhard als alternativlos betrachtete für faires Wirtschaften. Wer eine App vertreiben oder im Netz gefunden werden will, braucht Google und seinen Play Store oder flieht zum kleinen Apple. Gezieltes Werben ist die Spezialität von Facebook. Und wer online handelt, kommt am Digitalwarenhaus Amazon kaum vorbei. Denn Amazon ist auch eine Händlerplattform. Wenn aber ein Konzern die Märkte kontrolliert, wird der Wettbewerb unfair. Denn der Marktorganisator weiß alles über meine Preise, Kunden, Absätze und kann sein eigenes Produkt jederzeit günstiger platzieren. Bliebt mir eine Wahl? Nichts da. Friss´ die AGB oder bleib unsichtbar. Fair ist anders.
Der Berliner Soziologe Philipp Staab und Wirtschaftswissenschaftler Oliver Nachtwey warnen vor der Gefahr „proprietärer Märkte“ und „soziotechnischer Ökosysteme“. Staabs These: Die globalen digitalen Player haben schlaue „Akkumulationsregimes“ etabliert, vulgo: Monopole. Eine Smart City etwa, die sich auf Google Maps verlässt, darf damit rechnen, dass nur Google-Unternehmen wie der Rollervermieter Lime angezeigt werden.
Jack Ma, Gründer von Alibaba, dem chinesischen Amazon, ist überzeugt, dass die Digitalisierung in eine neue Planwirtschaft führt, jenes Wirtschaftsmodell, das einst den Sozialismus ruinierte. Warum? Weil die Technik weiter ist als zu Zeiten von Marx und Engels.
Die Planwirtschaft sowjetischer Bauart scheiterte an mangelnden Informationen. Mit Papier, Bleistift und Telefon konnte der Staat nur ein paar tausend Produkte kontrollieren. Parallel entstand ein Schwarzmarkt, der knallhart nach Angebot und Nachfrage funktionierte. Heute werden alle erdenklichen Daten erfasst, vom Tippen auf „Bestellen“ bis zur Lieferung: Wetter, Fahrzeuge, Personal, die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kunde wieder bestellen wird. KI könnte schaffen, woran der Sozialismus scheiterte: Konsum im Voraus berechnen, Produktion und Lieferkette optimieren, Konkurrenz überflüssig machen. So ließen sich Klima schonen, Hunger und Arbeitslosigkeit bekämpfen, bei Bedarf Güter zuteilen. Soweit der Plan.
Zentraler Unterschied zwischen Marx und Bezos: Digitale Planung dient den Aktionären, nicht der Allgemeinheit und gleicht daher doch eher klassischen Monopolen wie dem Öl-Imperium von John D. Rockefeller, erster Milliardär der Weltgeschichte. Rockefeller hatte 1863 eine kleine Raffinerie erworben und von dort aus den US-Ölhandel unter seine Kontrolle gebracht, von der Raffinerie über den Bahntransport, von Pipeline bis Händler. Zugleich wuchs der Benzindurst der vielen neuen Autos. Milliardär wird man mit eher mit Monopolen als mit Wettbewerb.
Spannende Frage: Wie lange kann ein Monopol bestehen? Nicht ohne Interesse werden die Milliardäre des Silicon Valley registriert haben, dass Rockefellers Imperium erst 1911 zerschlagen wurde, knapp 50 Jahre nach dem Start. In der Zwischenzeit hatte der Ölbaron ein Vermögen angehäuft, aus dem zahllose Spenden getätigt wurden. Der gerissene Geschäftsmann ist im kollektiven Bewusstsein der USA als großer Wohltäter verankert.
Was also ist das gemeinsame strategische Ziel von Facebook, Google und den anderen? Ganz einfach: Der Wilde Westen muss möglichst lange weiterbestehen. Regulierer und Politiker sind zu verwirren, Bürgerrechtler und Medien ruhigzustellen, Konkurrenten vom Markt zu jagen. Die Politik kommt früh genug. Wenn sie sich traut.
Seine digitalen Abenteuer beschreibt Netzentdecker Hajo Schumacher in seinem neuen Buch Kein Netz!: Geld, Zeit, Laune, Liebe – Wie wir unser wirkliches Leben zurückerobern (September 2020, Eichborn-Verlag).
Digitale und andere Themen in Corona-Zeiten behandelt Hajo Schumacher in seinem täglichen Mutmach-Podcast „Wir gegen Corona“.
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