Datenklau, Lügen, digitale Hysterie. Aber auch Kontakte, Wissen, Navi. Hajo schwankt zwischen Internet-Skepsis und der Angst, den Anschluss zu verpassen. Höchste Zeit für einen historischen Entschluss: Er will endlich die neue Technik kapieren.

 

Digitalisierung lernen

 

 

Neulich habe ich meinem Sohn eine Mail geschickt. Nichts Wichtiges, ein väterlicher Hinweis, verbunden mit dem leisen Wunsch nach einer Reaktion. Ich erwarte keine Antwort nach zehn Minuten, aber drei Tage sollten genügen. Ich schicke eine weitere Mail mit der Frage, ob die erste angekommen sei. Schweigen. Ich rufe an. Mailbox. Ich schicke eine SMS: „Hast Du die Mail bekommen?“ Antwort: „Welche Mail?“

Digitale Kommunikation könnte so schön sein. Leider sind wir auf völlig verschiedenen Kanälen unterwegs. Ich möge doch WhatsApp oder den Messenger benutzen, sagt der Sohn, weil: „Mailen ist wie Faxen, das macht keiner mehr.“ Aha. Ich habe kein WhatsApp. Digitale Frustration. Man ist theoretisch mit der ganzen Welt in Echtzeit verbunden, fühlt sich aber praktisch sehr einsam.

Ich will nicht unmodern klingen, aber Digitalisierung stresst mich. Sind Daten das „neue Öl“, wie unsere Politiker meinen, oder eher das neue TNT? Bambi Habeck lebt schließlich auch noch, obgleich er bei Facebook ausgestiegen ist. „Du brauchst ein Smartphone“, sagt die Chefin, vermutlich, weil sie von dieser neuen Tracking-App gelesen hat, die jeden meiner Schritte überwacht. „Ich brauche Zeit zum Lesen“, denke ich und taste nach dem ziegelgroßen Gerät in meiner leicht ausgebeulten Jackentasche: mein Outdoor-Handy, unkaputtbar, Akkulaufzeit ewig, zwei tolle Funktionen – Telefon und SMS. Was brauche ich eine WetterApp? Der Blick aus dem Fenster genügt.

Ich, sozialisiert mit Plattenspieler und Tageszeitung, schwanke zwischen Zukunft und Vergangenheit. Überall lauern Datenklauer und Mitleser im Netz. Was ist das für eine neue Welt, deren klügste Köpfe uns zum Anstarren von Katzenvideos bewegen? Andererseits die bange Frage: Bin ich zukunftsfest genug für Familie, Freundeskreis, Job? Oder einfach nur stur wie ein Pferdekutscher in Zeiten aufkommender Automobilisierung?

Neulich habe ich in einer Redaktion den jungen Menschen verstohlen über die Schulter geblickt. Was zum Teufel treiben die an den Bildschirmen? Was ist aus meinem Beruf geworden, den ich mit Zeilenpapier und Schreibmaschine gelernt habe? Kann ich mich halbwegs analog in die Rente retten? Nichts da. Dieses Internet geht nicht mehr weg. Und ihm ist egal, ob und wie ich mitmache. Womöglich berichte ich bald nicht mehr über Millionen Arbeitnehmer, deren Fähigkeiten nicht genügen, sondern gehöre dazu.

Grundsatzfrage: Will ich meine Restlaufzeit als verschrobener Analog-Ötzi verbringen? Oder greife ich noch mal an, wie Rocky? Dazu müsste ich mir zunächst eingestehen, dass ich, der Babyboomer aus dem geburtenstarken Jahrgang 1964, ein digitaler Analphabet bin, was für Herren in den besten Jahren eine gewaltige Hürde bedeutet. Aber Konfuzius sagt: Der beste Moment, einen Baum zu pflanzen, war vor zwanzig Jahren. Der zweitbeste ist heute. Ich werde also Nachhilfe nehmen: Wie schütze ich meine Daten, was weiß Google, wie wird in meinem Job künftig gearbeitet, was ist so spannend an Computerspielen, wie geht Programmieren, wie rette ich meine Digital-Life-Balance und wie, verdammt, bekomme ich endlich Ordnung in meine Musik- und Fotohalden?

Ich digitalisiere mich, von Grund auf, garantiert altersgerecht, barrierefrei und selbstironisch. Ich werde dieses Netz entdecken, seine Chancen, die Risiken und dabei keine noch so dumme Frage scheuen. Und dann erkläre ich meinen Jungs, was wirklich Sache ist.

 

 

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Das Projekt wird finanziert von der Brost-Stiftung.