Das Anbeten der digitalen Gründerväter ist naiv. Ging es früher um Innovation, zählt heute vor allem das Verteidigen lukrativer Monopole.

 

In Jerusalem ist bisweilen das Jesus-Syndrom zu beobachten. Bislang unauffällige Menschen lassen sich von der Magie des Ortes überwältigen, um ihre Funktionskleidung abzulegen, ein Baumwolltuch umzuwickeln und unbedingt ein Holzkreuz die Via Dolorosa emporschleppen zu wollen. Im Silicon Valley kennt man ein ähnliches Phänomen: Journalisten, Politiker, Unternehmer, die einmal in Cupertino, Menlo Park oder gar in Googles Kantine waren, tragen diesen leicht irren Checkerblick, Sneaker statt Pferdelederne und nie wieder Schlips.

Das Silicon Valley ist das Jerusalem des 21. Jahrhunderts. Hier haben sich Weltreligionen gegründet: Zweieinhalb Milliarden Menschen glauben an Facebook, zweieinhalb Milliarden Smartphones laufen auf Googles Betriebssystem Android, Gründerväter wie Jobs und Musk gelten als Heilige. Weltweit wollen Unternehmer die Garagen-Storys nachspielen.

Unkritisches Vergöttern ist Pflicht. So kommt es einer Mutprobe gleich, Zweifel am hochsubventionierten Tesla-Werk in Brandenburg zu äußern oder den Amazon-Gründer Jeff Bezos nicht zu bewundern. Man agiere stets superfair, tremolierte Apple-Chef Tim Cook bei einer Anhörung vor dem Kongress. Die anderen Bosse nickten. Dabei geht es wie zu Rockefellers Zeiten um Monopole, die mit Klauen verteidigt werden.

Derzeit steht ein besonders schicker Monopolist unter Druck – Apple. Die Firma mit dem lupenreinen Design verdient prächtig mit ihrem App-Store. Wer seine Programme dort feilbieten möchte, zahlt 30 Prozent Provision. Der Spielentwickler Epic, unter anderem mit dem global erfolgreichen „Fortnite“ zu Milliarden gekommen, hat sich nun mit den Macs angelegt und andere Unternehmen zum Aufstand angestachelt.

Der Vorwurf: iPhone-Benutzer können die kleinen Programme ausschließlich im App-Store erwerben. Den Laden aber kontrolliert Apple so scharf wie China uigurische Handys. Inhalte werden zensiert, Entwickler gegängelt, doch Kunden haben keine Chance, woanders einzukaufen. Apples Richtlinien verhindern fairen Wettbewerb. Europas Kartellwächter beäugen den Streit Apple/Epic aufmerksam. Verschwände Fortnite aus dem App-Store, hätte Apple bei jungen Kunden verloren und Epic eine wichtige Vertriebsplattform. Gäbe Apple klein bei, wäre das fette 30-Prozent-Erlösmodell dahin und die derzeit zwei Billionen Dollar Börsenwert auch.

Es gehört zu den Missverständnissen der Digitalisierung, dass die Jungs in den Kapuzenpullovern liebenswerte Nerds seien, die für eine Pizza ihr letztes Kleingeld zusammenlegen. Das Gegenteil ist richtig: Ob Big Oil oder Big Tobacco, Big Alcohol oder Big Pharma – seit Rockefellers Zeiten bauen US-Unternehmen an Monopolen, die den von der Marktwirtschaft vorgesehenen Wettbewerb möglichst umgehen. Wer online handeln will, kommt an Amazon nicht vorbei, wer Daten braucht, geht zu Google, wer Wahlen manipulieren will, ist bei Facebook gut aufgehoben, und Apps müssen nun mal durch den App-Store. Konkurrenz wird niedergemacht oder aufgekauft.

Nicht ohne Interesse werden die Milliardäre des Silicon Valley registriert haben, dass Rockefellers Benzin-Imperium, das von der Ölquelle bis zur Tankstelle die gesamte Verwertungskette kontrollierte, 1911 zerschlagen wurde, knapp 50 Jahre nach Gründung. In der Zwischenzeit hatte der Ölprinz ein Vermögen angehäuft, aus dem bis heute zahllose Wohltätigkeiten bezahlt werden. Microsoft-Gründer Bill Gates hat mit seiner Stiftung einen ähnlichen Weg bestritten.

Apple steckt derzeit im 44. Lebensjahr, Facebook (gegründet 2004) Google (1998) und Amazon (1994) sind jünger. Bei aller Rivalität heißt das gemeinsame strategische Ziel der Digitalriesen: Der Wilde Westen muss weiterbestehen. Politiker sind zu verwirren, Bürgerrechtler und Medien ruhigzustellen, das eigene Ökosystem ist auszubauen. Die Wettbewerbshüter kommen früh genug. Wenn sie die Kraft finden.

 

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